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I. Einleitung
und weltlichen) Elite müssen geahndet werden, aus dem gleichen Grund, aus
dem die moralische Haltung des Königs und der Königin ständig geprüft wer-
den muss, um Gottes Wohlwollen für das politische Gesamtgebilde zu bewahren
und die Ordnung zu garantieren. Aber die Frage ist von wem und wie. In die
Zeit, in der die Bischöfe zu den führenden Vertretern der geistlichen Elite auf-
stiegen und das elaborierte Wissen vom Bischofsamt breite Verbreitung fand,
fallen die hier betrachteten Bischofsabsetzungen im westfränkischen und
lotharingischen Bereich.
Diese geographische Einschränkung ergibt sich einerseits aus dem Quel-
lenbefund: in dieser Region diskutierten die Zeitgenossen besonders intensiv
Fragen der politischen Ordnung. Die Forschung hat seit den 1980er Jahren ge-
zeigt, dass vor allem die nordfranzösischen und lothringischen Bischofsstädte
„Speicher" des vielfältigen karolingischen politischen Wissens waren. Als Bei-
spiele für die Transformierung des Wissens über Bischöfe in der Zeit der Kir-
chenreform werden der Reformkreis von Fleury an der Loire sowie lothringische
Reformzentren gewählt.
Der geographische Raum „Westfranken" wird andererseits vornehmlich als
die Gebiete des westfränkischen und französischen Raums verstanden, die sich
durch Präsenz und oft umstrittene bzw. umkämpfte Wirksamkeit des König-
tums auszeichneten, kirchlich damit hauptsächlich auf die Kirchenprovinzen
Reims und Sens. In diesem räumlichen Sinne wurde, wie Steffen Patzold gezeigt
hat, ebenfalls das Pariser Modell als Form eines spezifischen Zusammenwirkens
von Bischöfen und Königen wirksam. Die konkrete Anwendung bzw. An-
wendbarkeit und Verbreitung dieses Wissens, die Bedinungen für seine Wirk-
samkeit und die Veränderungen des Modells sollen im Rahmen dieser Studie
analyisiert werden.
Da es um eine Reflexion über Bischofsabsetzungen und Anwendung von
Wissen geht, werden Bischofsmord, Vertreibung sowie Konflikte, die sich um die
Besetzung von Bischofsstühlen drehten, nicht berücksichtigt.
Als erste im Frankenreich belegte Bischofsabsetzung, bei der ein formales
Verfahren etabliert wurde, kann die Absetzung Erzbischofs Ebos von Reims 835
gelten107. Seine Absetzung steht daher am Beginn meiner Untersuchung.
In einem ersten Teil wird in Fallstudien die (symbolische und schriftliche)
Kommunikation bei und über Absetzungen als Spiegel der politischen Vorstel-
lungswelt untersucht. Untersucht werden sechs Absetzungen von 835 bis 991. Es
geht nicht nur um die konkreten Handlungen, d. h. Rituale bei den Bischofsab-
setzungen, sondern vor allem um die Wahrnehmung und Interpretation der
Rituale in Texten, d. h. um nachträgliche konkurrierende Deutungen und Deu-
tungskämpfe108. Diese Interpretationen erlauben einen Einblick in die politische
Kultur, da sie indirekt erhellen, welche Werte und Erwartungen die politischen
Akteure vertraten.
107 Patzold, Episcopus, S. 315f.
108 Vgl. dazu bes. Buc, Text and Ritual.
I. Einleitung
und weltlichen) Elite müssen geahndet werden, aus dem gleichen Grund, aus
dem die moralische Haltung des Königs und der Königin ständig geprüft wer-
den muss, um Gottes Wohlwollen für das politische Gesamtgebilde zu bewahren
und die Ordnung zu garantieren. Aber die Frage ist von wem und wie. In die
Zeit, in der die Bischöfe zu den führenden Vertretern der geistlichen Elite auf-
stiegen und das elaborierte Wissen vom Bischofsamt breite Verbreitung fand,
fallen die hier betrachteten Bischofsabsetzungen im westfränkischen und
lotharingischen Bereich.
Diese geographische Einschränkung ergibt sich einerseits aus dem Quel-
lenbefund: in dieser Region diskutierten die Zeitgenossen besonders intensiv
Fragen der politischen Ordnung. Die Forschung hat seit den 1980er Jahren ge-
zeigt, dass vor allem die nordfranzösischen und lothringischen Bischofsstädte
„Speicher" des vielfältigen karolingischen politischen Wissens waren. Als Bei-
spiele für die Transformierung des Wissens über Bischöfe in der Zeit der Kir-
chenreform werden der Reformkreis von Fleury an der Loire sowie lothringische
Reformzentren gewählt.
Der geographische Raum „Westfranken" wird andererseits vornehmlich als
die Gebiete des westfränkischen und französischen Raums verstanden, die sich
durch Präsenz und oft umstrittene bzw. umkämpfte Wirksamkeit des König-
tums auszeichneten, kirchlich damit hauptsächlich auf die Kirchenprovinzen
Reims und Sens. In diesem räumlichen Sinne wurde, wie Steffen Patzold gezeigt
hat, ebenfalls das Pariser Modell als Form eines spezifischen Zusammenwirkens
von Bischöfen und Königen wirksam. Die konkrete Anwendung bzw. An-
wendbarkeit und Verbreitung dieses Wissens, die Bedinungen für seine Wirk-
samkeit und die Veränderungen des Modells sollen im Rahmen dieser Studie
analyisiert werden.
Da es um eine Reflexion über Bischofsabsetzungen und Anwendung von
Wissen geht, werden Bischofsmord, Vertreibung sowie Konflikte, die sich um die
Besetzung von Bischofsstühlen drehten, nicht berücksichtigt.
Als erste im Frankenreich belegte Bischofsabsetzung, bei der ein formales
Verfahren etabliert wurde, kann die Absetzung Erzbischofs Ebos von Reims 835
gelten107. Seine Absetzung steht daher am Beginn meiner Untersuchung.
In einem ersten Teil wird in Fallstudien die (symbolische und schriftliche)
Kommunikation bei und über Absetzungen als Spiegel der politischen Vorstel-
lungswelt untersucht. Untersucht werden sechs Absetzungen von 835 bis 991. Es
geht nicht nur um die konkreten Handlungen, d. h. Rituale bei den Bischofsab-
setzungen, sondern vor allem um die Wahrnehmung und Interpretation der
Rituale in Texten, d. h. um nachträgliche konkurrierende Deutungen und Deu-
tungskämpfe108. Diese Interpretationen erlauben einen Einblick in die politische
Kultur, da sie indirekt erhellen, welche Werte und Erwartungen die politischen
Akteure vertraten.
107 Patzold, Episcopus, S. 315f.
108 Vgl. dazu bes. Buc, Text and Ritual.