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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0088
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1. Der Metropolit und seine Suffragane

87

Über die Synode von Rom schweigt Hinkmar in den Annales Bertiniani. Die
Wiedereinsetzung Rothads vermerkt er allerdings kritisch in seinen Annalen,
wobei er die Argumentation Nikolaus I. zugunsten von Rothad vehement zu-
rückweist: Der päpstliche Gesandte Arsenius war ins Westfrankenreich ge-
kommen und hatte Rothad aus Rom mitgebracht, den Nikolaus laut Hinkmar
nicht nach dem Gesetz, sondern willkürlich/eigenmächtig wieder eingesetzt
habe312, obwohl er kanonisch von den Bischöfen von fünf Provinzen abgesetzt
worden sei. Hinkmar bezieht sich in seinen folgenden Ausführungen auf die
Synode von Sardika, deren Kanones Nikolaus I. zur Unterstützung seiner
Rechtsauffassung in seinem Antwortschreiben an die Teilnehmer der Synode
von Pitres-Soissons vom 28. April 863 zitiert hatte313. Die spätantiken Kanones
von Sardika betonen zwar sehr wohl den Papst als Revisionsinstanz mit dem
Recht zur Prüfung eines Urteils314, aber selbst bei päpstlicher Anrufung/Appel-
lation nach Rom bleibt die Zuständigkeit der Bischöfe der betreffenden Provinz
bestehen und das Recht der regionalen Bischöfe, den Fall zu verhandeln. Der
Papst kann den Fall gemäß den Kanones nur den zuständigen Bischöfen erneut
zur Prüfung vorlegen315. Nikolaus wollte mit Hinweis auf diese Kanones die
Zulässigkeit einer Appellation an den Papst belegen, er las aber auch daraus ab,
dass der Fall Rothads in Gegenwart des Papstes in Rom verhandelt werden
müsse. Hinkmar setzt genau an dem Schwachpunkt der päpstlichen Argu-
mentation an und zitiert seinerseits das Konzil von Sardika von 343 — um zu
beweisen, dass er das Kirchenrecht sehr viel besser kennt als der in seinen Augen
anmaßende Nikolaus in Rom. Der Papst habe sich nämlich nicht an die Be-
stimmungen von Sardika gehalten, sondern setzte „den Rothad gegen den Ur-
teilsspruch der Bischöfe und ohne ihre Zustimmung wieder ein und bedrohte
diejenigen mit dem Bann, die Rothad an der Ausübung seines bischöflichen
Amtes hindern wollten"316.
Hinkmar setzte im Fall von Rothad zum einen auf Konfrontation mit Ni-
kolaus I. und nimmt diesen Fall zum anderen als Anlass, um grundsätzlich zu
werden und seine Vorstellungen vom korrekten rechtlichen Vorgehen darzule-
gen. Er argumentierte dabei nicht gegen päpstliche „Einmischung" oder Prüfung
des Falles, sondern richtete sich in seinen Schriften in erster Linie gegen das
Verhalten des Papstes, das er als Einschränkung seiner Metropolitangewalt
ansah und gegen Kritiker aus dem fränkischen Episkopat, besonders gegen

312 Annales Bertiniani ad. a. 865, ed. Grat, S. 119.

313 Nikolaus I., Briefe, Nr. 57, MGH Epp. 6, S. 355-362, zu Sardika S. 358, 5-20; Papstregesten
Nikolaus I. RI 1,4,2 Nr. 628. S. dazu auch unten Anm. 345.

314 Darauf hat Hinkmar auch in seiner Denkschrift, die er im Zusammenhang mit dem Fall Rothads
verfasste, hingewiesen. Vgl. Perels, Denkschrift, S. 49f.

315 Darauf weist auch Scholz, Politik, S. 197 mit Anm. 898 hin: noch 862 hatte Nikolaus I. in einem
Brief an König Salomon von der Bretagne erklärt, über einen angeklagten Bischof solle eine
Provinzialsynode verhandeln. Es handelt sich um eine den Pseudo-Isidorischen Dekretalen
entgegengesetzte Auslegung des Kirchenrechts. Zu den Hinkmarbriefen vgl. auch Sot, Histo-
rien, S. 519-522, hier S. 521. Flodoard verarbeitet die Absetzung Rothads in der Historia Re-
mensis III, c. 13.

316 Annales Bertiniani ad. a. 865, ed. Grat, S. 119.
 
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