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Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Contr.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0186
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2. Ein neuer Ebo? Der Fall Ebo in Flodoards Historia Remensis Ecclesiae

185

nenne761. Das karolingische System aber sei komplex und das Verhältnis König-
Bischof nicht mit dem Begriff infidelitas zu fassen gewesen. Dem 10. Jahrhundert
hingegen spricht Airlie im Großen und Ganzen diese Komplexität und den
Verständnishorizont für die angemessene Interpretation von Vorgängen des
9. Jahrhunderts ab. Diese Aussagen Airlies verweisen auf ein grundlegendes
methodisches Problem: können wir als Historiker*innen entscheiden, ob die
Begriffe, die Autoren einer Zeit verwenden, um bestimmte Phänomene zu be-
schreiben, angemessen sind?762
Anders gesagt: Flodoard sollte vielleicht nicht in erster Linie an seiner Wie-
dergabe des Pariser Modells gemessen werden, sondern an seiner Synthese-
leistung auf Basis historischen Materials. Er erscheint dann als ein Gelehrter, der
eigene Akzente setzt und einen weiteren Interpretationsrahmen hinzufügt. Dass
er die Dokumente des Reimser Archivs kannte, muss nicht zwangsläufig heißen,
dass er mit den Aussagen der Texte genau das gleiche verband wie etwa Hink-
mar fast 100 Jahre zuvor. Martina Hartmann betont den Eindruck, dass Flodoard
viele wichtige Schriften nicht kannte und mit der Einordnung einiger Briefe
Hinkmars große Schwierigkeiten hatte, was angesichts des zeitlichen Abstands
nicht wundert.
Das Geschehen fasst Flodoard in seinen eigenen Worten zusammen: Ebos
Absetzung erfolgte wegen Untreue, die zu große Nähe zum Hof führte ihn ins
Verderben.
Flodoards Arbeitsweise in der Darstellung des Ebofalls
Über die Absetzung Ebos hatte Flodoard eine Quelle im Archiv vorgefunden, in
der die Vorgeschichte, das Verfahren und die Folgen zusammengefasst waren,
und die zu genau diesem Zweck zu ihrer Zeit produziert worden war. Es handelt
sich um einen Brief an Nikolaus I., mit dem er über die Absetzung Ebos unter-
richtet werden sollte. Es ist wahrscheinlich, dass das Dokument identisch mit
einem im Original verlorenen Brief Hinkmars von Reims von 867 ist. Der Text
weist zwar Übereinstimmungen mit dem Synodalschreiben von Troyes und den
Annales Bertiniani auf, bietet aber Sondergut zu Ebo, meist negative Informa-
tionen763. Vielleicht handelt es sich um einen Entwurf für die Synode von Troyes,
der in seiner Schärfe so nicht akzeptiert worden ist und daher von Hinkmar
überarbeitet wurde764.
Hier findet sich die singuläre Überlieferung von Vorwürfen gegen Ebo, er sei
mit Kirchenschätzen zu den Normannen geflohen, die dazu dienen sollten, die

761 Vgl. Airlie, Not rendering, S. 497ff. Stuart Airlie kündigt in dem Aufsatz eine größere Studie zu
Bischofsabsetzungen an. Er richtet allerdings das Augenmerk auf die Rolle des Herrschers, den
er als entscheidenden Akteur bei den Absetzungen sieht.

762 In Bezug auf abstrakte Staatsvorstellungen im 9. Jahrhundert dazu sehr deutlich Deutinger,
Pragmatische Verfassungsgeschichte, S. 23 mit Kritik an Fried, Gens und regnum.

763 Flodoard, Historia Remensis, II, 20, S. 183 mit Anm. 7.

764 So schon die Vermutung Schrörs, Hinkmar, S. 288 Anm. 72.
 
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