Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinjung, Christine; Johannes Gutenberg-Universität Mainz [Mitarb.]
Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter (Band 11): Bischofsabsetzungen und Bischofsbild: Texte - Praktiken - Deutungen in der politischen Kultur des westfränkisch-französischen Reichs 835-ca. 1030 — Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2021

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74403#0337
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
336

XII. Zusammenfassung: Anwendung von Wissen in der politischen Kultur

licher Sicht den Umgang mit reuigen Sündern/Büßern wider. Die Vorgehens-
weise zeigt eindrücklich, dass zwischen Politik und Moral für diese Zeit nicht
getrennt werden kann. Entscheidendes Kennzeichen der Verfahren ist die Be-
strebung, die Zustimmung des Delinquenten zum Vorgehen und zu den gegen
ihn erhobenen Vorwürfen zu erhalten und zu dokumentieren. Das lässt sich
einerseits mit den kirchenrechtlichen Vorgaben erklären, die einen Amtsentzug
nur im Falle eines freiwilligen Amtsverzichts vorsahen, verweisen aber darüber
hinaus auf grundlegende Funktionsweisen der hier betrachteten Gesellschaften.
Denn diese Zustimmung erfolgte in Form einer Handlung, entweder aus dem
Bereich des Bußdiskurses (Beichte, Bitte um Heilmittel der Buße, öffentliches
Sündenbekenntnis, Rücktrittserklärung) oder als Eid (Gehorsamseid). Ebenso
wichtig, wenn nicht wichtiger für die historische Betrachtung ist neben der
Handlung selbst die Kommentierung und nachträgliche Deutung dieser
Handlung.
Die Prozesse gegen die angeklagten Bischöfe zeigen, dass die Bischöfe in ein
und demselben Verfahren zur gleichen Zeit von den verschiedenen Anklägern
(nämlich König und Metropolit) sowohl als politische Amts- bzw. Funktions-
träger, die vom König eingesetzt wurden, als auch als geistliche Amtsträger, die
ihr ministerium und die damit verbundene Macht von Gott verliehen bekamen,
gesehen worden sind. Dieses Spannungsverhältnis wird von den Zeitgenossen
jedoch nicht offen thematisiert und auch nicht aufgelöst.
Ein Vergleich mit den von Marlene Rückert (als Meyer-Gebel) untersuchten
Bischofsabsetzungen in der deutschen Reichskirche zwischen 1122 und 1159
macht den Wandel in den gesellschaftlichen Funktionsweisen und politischen
Konzepten zwischen dem 9./10. Jahrhundert und dem 12. Jahrhundert deutlich.
Wenig überraschend dürfte das Ergebnis sein, dass der Papst und die päpstlichen
Legaten im 12. Jahrhundert immer an den Absetzungen beteiligt waren. Die
Verkündigung des Urteils blieb dem Papst überlassen, die Ergebnisse der zu-
nehmenden Zentralisierungsprozesse und die gewandelte Stellung des Papst-
tums nach dem Investiturstreit spiegeln sich hier wieder. Der Metropolit spielte
hingegen keine Rolle — die Kämpfe Hinkmars von Reims für die Metropolitan-
rechte blieben Episode1415. Das war in unseren Fällen umgekehrt. Auch der Si-
monievorwurf findet sich noch nicht im 9. oder 10. Jahrhundert. Im 12. Jahr-
hundert ist er neben der Verschleuderung von Kirchengut der wichtigste Ab-
setzungsgrund, der auch im Kirchenrecht vermerkt ist. Die Verfahren werden im
12. Jahrhundert auf Reichsversammlungen und Hoftagen abgehalten, nur dass
zu dieser Zeit die päpstlichen Legate die Verfahren leiten — diese Entwicklung
ließ sich jedoch schon um 1000 bei dem Verfahren gegen Arnulf von Reims
beobachten.

1415 Dazu jetzt auch Schrör, Metropolitangewalt.
 
Annotationen