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Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

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Heft 6
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Destrée, Joseph: Ein Altarschrein der Brüsseler Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0105

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177

1893.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

178

Gaffern angefüllt. In dem Baldachin über diesem
Mittelfeld sehen wir den hl. Petrus mit den Him-
melsschlüsseln und einem aufgeschlagenen Buch.
Im Felde zur Rechten sehen wir die Pietä:
Maria hält in ihrem Schoofs den Leichnam ihres
Sohnes. Der hl. Johannes, Maria Cleophae, Joseph
von Arimathia und Nikodemus stehen bewegt
daneben. Die benachbarte Gruppe stellt die
Auferstehung dar. Der Engel steht auf dem
vom Grabe abgewälzten Grabstein und zeigt den
heiligen Frauen die leere Höhlung. Das Er-
staunen dieser und die Bestürzung der Soldaten
sind von dem Bildhauer vortrefflich verstanden.

Das Denkmal') ist in seinem architektoni-
schen Theil eins der best angeordneten, wel-
ches jemals aus einer brabantischen Werkstatt
hervorgegangen ist. Die Baldachine und alle
architektonischen Einzelheiten zeugen sowohl
von dem Geschmack dessen, der sie entworfen
hat, wie von der Geschicklichkeit des Verfer-
tigers. Die Bilder würden jedoch viel gewonnen
haben, wenn die einzelnen Gruppen getrennt
worden wären. Der Zuschauer mufs diesem
Fehler der Anordnung nachhelfen, und seine
Mühe wird ihn nicht verdriefsen.

Unter den fünfzig Figuren der Gruppen be-
finden sich einige von höchstem Reiz, so die
Bildnisse der Stifter, die meisten Personen der
Kreuzabnahme, die Engel und die heiligen Frauen
der Auferstehung. Die Gewänder umhüllen ge-
fällig und weich die Gestalten, deren Wuchs gut
aufgefafst ist. Wohl befremdet uns Manches an
der allzu gedrängten Komposition, so, dafs der
Reiter sein Pferd ohne Rücksicht auf die Stifterin
antreibt; so, dafs unter den Juden, Zuschauern
und Soldaten manche mehr possirliche als natür-
liche Gestalten sich befinden.

Der Altarschrein schliefst sich nach seinem
Wesen und Charakter jener mächtigen Schule
an, welche sich unter dem Einflüsse Roger"s van
der \V\'yden bildete. Seine Entstehung läfet
sich auf die Jahre 1465—78 feststellen.2] Schon
als er uns nur durch die Photographie bekannt
war, zögerten wir nicht, ihn einer Brüsseler
Werkstatt zuzuschreiben. Die Gründe, aufweiche
wir diese Annahme stützten, waren kurz folgende:

') Wir machen den Leser darauf aufmerksam, dafs
dal photographitche Clicht angefertigt wurde, ehe man
den einen 1 laschet wieder an seinen Platt gebracht halte.

2) Der architektonische Rahmen ist vor Kurzem
restaurirt und theihveise wieder vergoldet worden. Hie
Gruppen haben theilweise ihre farbige ISemaiung verloren.

1. Die vielen verwandten Züge mit den
plastischen und architektonischen Theilen der
Altarblätter von Leau, von Ambierle bei Roanne

Frankreich) und von Herenthals, sowie mit ein-
zelnen Gruppen des Brüsseler Museums, alles
Werke von Brüsseler Herkunft.

2. Ein noch entschiedeneres Zeichen: das
wiederholte Vorkommen des Zirkels, der Marke
der Brüsseler Bildschnitzer, welche auf den
Brettern der Seitenfelder wiederholt eingestem-
pelt und hier abgebildet ist.3)

3. Wie wir sehen werden, bestimmte Bezie-
hungen der Stifter zu der brabantischen Stadt.

Die an den Betschemel gelehnten Wappen
lehren uns nämlich, dafs Claudio Villa und
Gentina Solaro4) Angehörige zweier piemonte-
sischer Familien, die Stifter sind. Der Edelmann
führt: „bände' d'or cl d'azur Charge de trois
c/oiles d'or timbre (Tun casque de Tournoi ayanl
pour eimier une licorne", während die Dame
ein an einem Strauch aufgehängtes Wappen-
schild führt: „parti /es armes de son mari,
parii Celles de sa maison ä savoir: d'azur
a trois bandes echiquetdes d'or et de gueules."
Unter jeder Abtheilung des Altarschreines ist
zwei Mal nebeneinander die Devise der Villa:
..Droit et Avant" wiederholt, und um über ihre
Bedeutung keinen Zweifel walten zu lassen, jedes-
mal ein mit einem Bändchen verzierter Pfeil
hinzugefügt. Das Wappen ist aufserdem unter
jedem der drei Felder auffällig angebracht.

Der Devise der Villa hätte die der Solaro
entgegengestellt werden können, welche lautete:
„Tel fiert qui ne tue pas."

Claudio Villa hatte Beziehungen zu Brüssel,
wo einer seines Geschlechts Bankier war, wie
wir aus einem Verzeichnifs der 1383 in der
Kirche des hl. Jacob zu Caudenberg gegründeten
Bruderschaft des hl. Kreuzes erfahren. Diese in
derKönigl. Bibliothek vorhandeneAufzeichnung5)
ist 14G2 auf Befehl von Giles Stael, Abtes des
hl. Jakob zu Caudenberg und der anderen Wür-

*) Wir haben schon früher die Bedeutung dieser
Stempel erklärt. (Siehe ,,Recherches sur la sculpture bra-
baiifonne" «Memoires des antiqnairei de France« lbi)2.)

*^ Rietstap »Armorial generale.

y Manuskript 2177t'.
 
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