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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Schnütgen, Alexander: Sechs kölnische Figuren kurz vor und nach 1400
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0036

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1909.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

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gleich nach 1400 entstanden ist. Wie dieses
aus Drachenfelser Trachyt gemeißelt ist, der
schon seiner Quarze wegen, ganz feine und
scharfe Linien nicht erträgt, so auch unsere
Figur, die wohl den Höhepunkt der köl-
nischen Steinplastik bezeichnet, wie sie sich
von der starren Stilistik der Chorapostel etwa
um 1340 bis zu der schon etwas manierierten
Verkündigungsgruppe in St. Kunibert (1439)
zu einer gewissen Realistik und monumentalen
Größe emporarbeitete aus eigener Kraft, wenn
auch noch in einem leichten Zusammenhang
mit den westlichen Erscheinungen. — Unsere
St. Helenenstatue ist ein einsames Phänomen.
Fragen wir nach ihrer Bestimmung, so ist
die Antwort schwierig, vielleicht unmöglich.
Immerhin legt sich die Vermutung nahe, daß
sie für die St. Gereonskirche, als die Stiftung
der Kaiserin bestimmt war. Und wenn wir
des weiteren bedenken, daß diese Kirche
einen gotischen Lettner besaß, dann ergibt
sich von selbst die Wahrscheinlichkeit, daß
gerade diese Figur diesem Lettner als Schmuck
gedient habe, zumal dafür auch die Miß-
verhältnisse als passend erscheinen würden.
Tafel II. Dieses Heft zeigt drei aus
Nußbaum gebildete Madonnen, die als vor-
zügliche Typen für die kölnische Holzplastik
des ausgehenden XIV. und beginnenden XV.
Jahrh. bezeichnet werden dürfen.

Abb. 4 ohne den untersten (neuen) Sockel
54 cm hoch, im Kölner Antiquariatsbetrieb vor
mehr als 30 Jahren erworben, zeigt nur noch ganz
spärliche Reste der ursprünglichen Bemalung.
Die einzige Veränderung, welche dieselbe sonst
noch erfahren hat, besteht in der wohl noch
im Mittelalter erfolgten Entfernung des Kopf-
schleiers, dessen Ausläufer noch über den
Rücken herabhängt. Das von den charakteri-
stischen Haarsträhnen eingerahmte lieblich
lächelnde Angesicht zeigt die ganze Eigenart
des kurz nach dem Tode des Meisters Wilhelm
(1371) entstandenen kölnischen Typus, der in
dem starken Schädel, den hochgezogenen
Augenbrauen, den mandelförmigen Augen, dem
gebauschten Tränensack, der kleinen Nase,
dem zierlichen geschwungenen Mund, dem
stark betonten Kinn und schwellendem Hals-
ansatz besteht. Diesem weichen Kopf ent-
spricht der ganze reich drapierte Körper mit
seinen schmal abfallenden Schultern, aus denen
geradlinig der Unterarm herauskragt, im harmo-
nischen Zusammenklingen mit der eleganten

Hüftbiegung, die der ganzen Figur etwas sehr
Graziöses gibt, zumal im Gegenschlag gegen
die andere Hüfte, auf der, von der Hand der
Gottesmutter gestützt, das Kind ruht. Dieses
ist, im Unterschied von dem Jesusknaben bis
zur Mitte des XIV. Jahrh., nicht mehr ganz
mit der Tunika bekleidet, sondern nur von
den Hüften an mit einem über die Füße
faltig herabfallenden Tuch. Der Kopf be-
zeichnet den Übergang von dem alten Typus
der früheren Zeit zu der mehr kindlichen
Auffassung. Auch von den Hüften herunter
ist der Faltenwurf, wie auf der Vorder- so
selbst auf der Rückseite ungemein harmonisch,
vollständig von dem Körper beherrscht.

Abb. 5. Stehende Figur der Säuge-
mutter, 37 cm hoch, aus der Sammlung
Weyers herkommend, der ursprünglichen Be-
malung ganz beraubt, im übrigon vorzüglich
erhalten bis auf die angesetzte rechte Vorder-
hand und des linken Unterschenkels. Der
für die Krone ursprünglich bestimmte Kopf
zeigt noch stärkere Entwicklung des Typus
auf Meister Stephan zu: noch größere Schädel-
stärke, große Augen, kleine Nase, ganz zurück-
tretendes, schwellig in den Hals verlaufendes
Kinn, ganz nacktes, lebhaft sich anschmiegen-
des Kind, wulstige Gewandbehandlung bei
etwas gedrungener, mäßig bewegter Gestaltung;
auf der Rückseite breiter Halsumschlag des
Mantels, der in flacher Paralleldraperie herunter-
hängt. Eine für die kölnische Eigenart um
1420 sehr bezeichnete kostbare Statuette.

Abb. 6. Kastenmadonna, 57 cm hoch,
aus kölnischen Privatbesitz vor etwa 35 Jahren
erlangt. Dieses Hochrelief mit fast vollrundem
Kind aus einem Stück Nußbaum einschließlich
des Rahmens herausgeschnitzt, wohlerhalten,
mit der später nur etwas überstrichenen
Polychromie, hat, seiner Bestimmung wegen,
eine etwas breite Gestaltung erlangt, der die
ganze Faltenanordnungsich akkommodiert hat,
mit Einschluß des sehr kurzen Oberarms. Die
untere bereits etwas zu Knickgefält neigende
Draperie kündet schon, wenn auch entfernt,
die spätgotische Periode an, obgleich die übrigen
Falten noch im alten Geleise der Holzplastik
sich bewegen. Die 3 cm starke Hohlkehle,
die den Rahmen bildet, leitet zu einer Falz
über, welche eine Glasscheibe aufzunehmen
die Bestimmung hatte, das frühe Auftreten
dieser der Privatandacht entgegenkommenden
Fassung. Schnütgen.
 
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