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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Lüthgen, Eugen: Entwicklungsmomente der spätgotischen Holzplastik in Oberbayern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0039

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1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

42

Die für Deutschland fruchtbarste Zeit lang-
samen Versinkens in technische Künstelei war
die Zeit der Spätgotik, die für die Plastik von
der Mitte des XV. Jahrh. an bis in die dreißiger
Jahre des XVI. Jahrh. anzusetzen ist. Natur-
gemäß finden sich die Merkmale solcher yon
der Kraft ihrer Vorgänger zehrenden Zeit am
stärksten ausgeprägt in lokalen Kunstgruppen,
die in ihrer Entwicklung in sich selbst abge-
schlossen sind und die sich von den belebenden
Einflüssen anderer Kunstgruppen ferngehalten
haben. In gewisser Beziehung bietet dafür
die Kunst Altbayerns ein typisches Beispiel,
zumal da, wo durch natürliche Grenzen die
Kunst eines Landstriches von einem einzigen
Kunstzentrum in Abhängigkeit geriet, wie z. B.
in dem Gebiete zwischen Inn und Salzach
von der Metropole Salzburg. Hier wirkt die
hervorragende Stellung Salzburgs, das als „altes
Kulturzentrum des deutschen Südostens" an-
zusprechen, während des ganzen Mittelalters
kunstfördernd.

Die künstlerische Produktivität im Inn-
Salzach-Gebiete während der Zeit der Spät-
gotik ist außerordentlich groß. Noch heute
sind dort auf beschränktem Räume etwa 15
große holzgeschnitzte Altäre und wohl über
300 holzgeschnitzte Einzelwerke erhalten.

Zur Bevorzugung der Holzplastik mag der
große Holzreichtum des Landes das seinige
beigetragen haben. Jedenfalls hat er bewirkt,
daß die Holzschnitzerei über das ganze Land
weit verbreitet, in inniger Verknüpfung mit
dem Leben des Volkes, einen volkstümlichen
Charakter annahm. Für die künstlerische
Qualität ist das keineswegs bedeutungslos.
Denn gerade die Volkstümlichkeit und „der
gewerbsmäßige Betrieb für Hausindustrie scheint
hier eine Schranke des künstlerischen Fort-
schrittes gebildet"2) und somit ein starres
Festhalten an der traditionellen Formensprache
bedingt zu haben. Daher denn auch hier die
technische Schulung zusammen mit dem Streben
nach Naturwahrheit bei der fortgeschrittenen
Formbildung der Mitte des XV. Jahrh. die
Scheidung zwischen Holz- und Steinbild sich
scharf vollziehen ließ.3)

2) Vgl. dazuStiassny, „Altsalzburger Tafelbilder"
«Jahrb. der k. k. Samml. des allerh.Kaiserhauses». B. 24.
S. 50.

s) Lüthgen, «Die Holzplastik der Spätgotik im
Gebiete zwischen Inn und Salzach ». Diss., München 1907.
S. 9 ff.

Bis jedoch die Entwicklung zu dieser
klaren Scheidung des Stiles der Holz- und
der Steinplastik gelangte, war ein mühsamer Weg
zu durchlaufen. Die Ausbildung der holz-
plastischen Technik beginnt mit dem XL Jahrh.
Ein sicheres Charakteristikum dieser Zeit ist,
daß die künstlerischen Formen aus dem Holze
so geschnitten werden, daß die ursprüngliche
rohe Blockform des zu bearbeitenden Holz-
stückes erkennbar durchscheint. Die Glieder
des Körpers sind, mit Ausnahme des Kopfes
und der Arme, überhaupt nicht wahrnehmbar.
Das Gewand und der Körper wird gleich-
zeitig durch den etwas gerundeten und ge-
glätteten Block des Holzes symbolisiert, aus
dem eckig und unproportional Arme und Kopf
hervorkommen. Einige Madonnenfiguren des
XL und XII. Jahrh. im Bayerischen National-
museum in München geben von dieser Stufe
der Entwicklung ein deutliches Bild.

Nachdem die Bildung der äußeren Umriß-
formen des Körpers gelungen, beginnt man
durch das Detail, zuerst durch ganz flach ge-
schnittene, schmale Faltenzüge, einige Ab-
wechslung in die monotone Gestalt zu bringen.
Ein schnelles Fortschreiten auf diesem Wege
ist unverkennbar. Das Stilgefühl der Gotik
kommt dem entgegen. Denn die Linien und
Falten verlaufen fast gesetzmäßig in einem
weichen dekorativen Zuge, der nichts gemein
hat mit realistischer Wahrhaftigkeit. So wird,
vor allem in der Salzburger Schule, durch
eine gewisse Genügsamkeit in bezug auf künst-
lerische Eigenart es bewirkt, daß man mit
einer fest begrenzten Zahl von Motiven sich
zufrieden gibt und naturgemäß innerhalb dieses
begrenzten Kreises leicht und schnell ein gutes
Können erlangt. Dazu kommt, daß der
Salzburger Kunstsinn wenig kompliziert ist.
Denn im Gegensatz zu der von Hierarchie
und Adel getragenen romanischen Zeit ist die
Salzburger Gotik, entsprechend der geschicht-
lichen Entwicklung des Volkes, von natur-
wüchsiger, rustikaler, geradezu demokratischer
Wesenheit. „Der schlichte Zug praktisch ver-
ständiger Solidität in äußerster Einfachheit"4)
beherrscht fast alle die aus der Mitte des
Volkes hervorgegangenen Kunstwerke.

Im Beginne des XV. Jahrh. hat der gotische
Stil seine klare Abgeschlossenheit erreicht. In

*) A. v. Steinhäuser, «D. österr.-ung. Monarchie*
I 1889. B. 6. S. 312.
 
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