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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Lüthgen, Eugen: Entwicklungsmomente der spätgotischen Holzplastik in Oberbayern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0041

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45

1909. _ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

46

unter dem Auge, das weiche, untere Augen-
lid gegenüber dem mehr knorpelartigen
oberen gut betont; die belebende Modellierung
der Wangen führt zu dem zarten, doch festen
Kinn. Das Ganze aber ist zu einheitlicher
Wirkung verwoben.

Dieser Technik ent-
sprechen noch drei andere
Holzskulpturen in Fridolfing,8)
weibliche Heiligenfiguren, die
für die Entwicklung dieses
Darstellungsgebietes gewisser-
maßen einen Ausgangspunkt
bilden. Denn während in
der Hauptsache die Entwick-
lung der weiblichen Heiligen-
figuren sich an den Typus der
Madonna anlehnt, läuft neben-
her eine zweite Strömung von
selbständigerer Auffassung.
Sie birgt in dem Streben, das
Attribut mit der Gesamt-
erscheinung des Dargestellten
in organische Verbindung zu
bringen, ein neues Entwick-
lungsmoment, das der Vor-
liebe dieser Zeit für die Wieder-
gabe des Wirklichen entgegen-
kommt. Denn so-
bald man die Un-
zulänglichkeit der
früher zusammen-
hanglos nebenein-
ander stehenden Ge-
bilde des Menschen
und seines Symboles
fühlte, erwuchs der

Naturbeobachtung
von dieser Seite er-
neute Anregung zur
Bildung organischer

Zusammenhänge.
Man beginnt die
Charakteristik der
Bewegung, die Art

und Weise, wie der ^^^^^^^^^^^^^_
Mensch zugreift, wie er etwas trägt oder in
seinen Händen hält, zu beachten, und gewinnt
dadurch eine gesteigerte Fähigkeit individuellen
Gestaltens.

Allein da die Tiefe des Empfindens schon

im Schwinden begriffen, beginnt der Ausdruck

8) Abb. »Kunstdenkmale« a.a. O. S. 2687. Tafel 278.

Abb. 3

Abb. i.

mehr und mehr hohl und leer zu werden. Dies
wirkt fördernd auf ein gewisses Virtuosentum,
das mit dem Anfange des XVI. Jahrh. immer
stärker um sich greift.

Der veränderte Geschmack einer neuen
Zeit beginnt seine zersetzende
Wirkung. An Stelle der bis-
herigen Schlankheit gediun-
gene, ja plumpe Proportionen,
an Stelle ruhiger Selbstzu-
friedenheit ein Ausdruck
freudiger Spannung und Er-
wartung, eine schwärmerische
Begeisterung: diepathesischen
Elemente des Barock.

Zwei Richtungen sind es
in der Hauptsache, die die
Formgebung dieser neuen
Zeit bestimmen; die eine geht
auf Wucht und Größe der
Erscheinung, die andere auf
graziöse Zierlichkeit.

Eine Anzahl hervorragen-
der Werke der erstem findet
sich in der Kirche in Rabenden.
Ich erwähne von diesen nur
den h. Eustachius des süd-
lichen Seitenaltares.9) (Abb. 2).
Die Gestalt ist be-
rechnet auf einheit-
liche Größe der Wir-
kung. Ihre Abge-
schlossenheit beruht
auf dem harmo-
nischen Ineinander-
fließen verschiede-
ner Bewegungsmo-
tive. Die lässige Hal-
tung des linken
Armes, der, anmutig
gebeugt, den schwe-
ren Mantel ein wenig
emporzieht, klingt in
den breiten Flächen
^^^^^^^^^^^^^^ des Mantels gut aus.
Abb- 5- Damit zusammen

geht die Bewegung des rechten Beines, das,
zurückgestellt, mit dem Fuße noch eben den
Boden berührend, gerade einen Schritt nach

9) Ober den hervorragenden Hauptaltar um 1510,
sowie über den nördlichen Seitenaltar und einige
rundplastische Freifiguren, vergl. Lüthgen a. a. O.
S. 85—89.
 
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