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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Braun, Joseph: Mittelalterliche Paramente zu Neustift bei Brixen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0085

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117

1909.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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weil ein völliges Unikum. Wohl hat sich noch
ein engärmeliges Rochett aus dem Mittelalter
erhalten, das Rochett des hl. Thomas Becket
in der Kathedrale zu Arras. ebenfalls einzig
in seiner Art; ein anderes mittelalterliches
Superpelliceum ist mir aber bislang nicht be-
kannt geworden. Eben darum aber hat das
zu Neustift befindliche natürlich eine besondere
Bedeutung für die Geschichte der mittelalter-
lichen Paramentik.

Allerdings ist das Gewand nicht mehr un-
versehrt; es fehlen sogar große Stücke, das
Mittelstück der einen Seite ganz, das der
andern in seinem oberen Drittel und von der
Gire zur Rechten zwei Keilstücke. Allein
zum Glück läßt sich, was mangelt, leicht er-
gänzen und das Gewand ohne Schwierigkeit
rekonstruieren. Denn es sind für die Kenntnis
der Machweise und
des Schnittes nur un-
wesentliche Teile, was
frommer Eifer von dem
Superpelliceum weg-
nahm.

Das aus einem
lockern, aber kräftigen
Leinenbattist angefer-
tigte Gewand hat eine
Länge von ca. 1,37 m.
Die oben jetzt 0,96 m,
früher aber ca. 1,00 m und unten 0,70 m langen
Ärmel haben vorne eine Rundweite von 1,60/«,
da aber, wo sie an den Rumpf des Gewandes
angesetzt sind, eine solche von ca. 0,92 m. Der
Rumpf setzte sich aus zwei 0,91 m breiten
Mittelstücken, von denen das eine die Vorder-
seite, das andere die Rückseite bildete, und
zwei je 2,14 m breiten seitlichen Giren zu-
sammen, von welchen jede wiederum aus sechs
Keilstücken besteht. Die vier mittleren Keil-
stücke sind am oberen Ende dicht in Falten
gelegt, welche auf die Länge von ca. 4 cm
mit einem rautenförmigen Muster überstickt
sind, nicht bloß der Verzierung halber, sondern
auch wohl, um der Fältelung größere Solidität
zu geben. Die beiden äußeren sind glatt
geblieben, aber am oberen Ende mit einem sehr
interessanten trapezförmigen Kopfstück ver-
sehen worden, das gleichfalls in Weißstickerei mit
geometrischei Musterung verziert wurde und oben
mit einem Mäanderstreifen abschließt (Abb. 3.)*)

*) Die Technik der Stickerei ist sehr einfach. Die
St.ibchcn und Linien der Mäander sind durch Umnähen

Abb. 4

Die Ärmel waren schräg an den Rumpf
des Gewandes angesetzt, wie eine noch vor-
handene Naht am rechten Ärmel bekundet.
Sie sind aus zwei Stoffstücken gemacht, einem
0,86 m breiten oberen und einem ca. 0,40 m
breiten unteren. Ihre Verengerung wurde
dadurch erzielt, daß das untere Stück da, wo
es an den Gewandrumpf angenäht werden
sollte, dicht gekräuselt wurde. Infolgedessen
gehen von demselben Punkte unter den Armen
zwei Fältelungen aus, die eine nach unten,
die Fältelung der Giren, die andere nach oben,
die Fältelung des unteren Teiles der Ärmel,
welch letztere ebenfalls überstickt und dazu auf
eine Länge von ca. 0,10 cm von einem in
Weißstickerei hergestellten, einen Mäander
aufweisenden Zierstreifchen begleitet wird.
Nicht mehr festzustellen ist, wie der Kopf-
durchlaß gestaltet war,
weil ja die eine Mittel-
partie des Gewand-
rumpfes völlig, die an-
dere aber in ihrem
oberen Teil fehlt. Das
Rochett des hl. Thomas
Becket zeigt einen
ovalen Durchlaß, an
den sich ein über die
rechte Schulter ver-
laufender Schlitz an-
schließt zur Erleichterung des Durchsteckens
des Kopfes. Bei den Alben, welche sich
aus dem Mittelalter erhalten haben, nament-
lich aber bei den Alben aus dem XII. und
XIII. Jahrh. befindet sich dieser Schlitz ge-
wöhnlich an der Vorderseite, doch nicht in
der Mitte, sondern meist nach links, seltener
nach rechts gerückt. Aber auch in diesem
Falle wurde er oben auf der Schulter ge-
schlossen, und zwar mit Hilfe einer Lasche,
in welche die durch den Schlitz gebildete
Klappe an ihrer Ecke auslief. In der einen
oder andern Weise mag auch der Kopf-
durchschlupf unseres Superpelliceums ein-
gerichtet gewesen sein, falls derselbe über-
haupt zum Schließen eingerichtet war und
geschlossen wurde. Denn nach Arno von
Reichersberg, der um 1190 schrieb, pflegte
er bei dem Superpelliceum der Augustiner-

von je vier Fäden des Stoffes hergestellt, die kleinen
Quadrate auf einem der Kopfstücke durch Plattstiche,
welche beide Seiten gleichmäßig überziehen.
 
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