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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Tepe, Alfred: Kleine Erinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0101

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141

1909 — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

142

Verkehr auf den weiten Grachtengürteln den
Graswuchs zwischen Pflastersteinen und Fuß-
steigklinkern zu hemmen. Infolgedessen standen
die Häuser, selbst Prachthäuser, sehr niedrig im
Preise. Es galt, die Gelegenheit zu benutzen
und namentlich die emsigen deutschen Kauf leute
ließen sie nicht unbenütz vorübergehen. Mein
Vater kaufte auf der Keizersgracht ein vier-
fenstriges Giebelhaus mit Garten und Garten-
haus für einen geradezu lächerlichen Betrag.
Es war ein echtes Kaufmannshaus nach altem
Stil, mit großem Warenkeller im Souterrain.
Zur Haustür führte eine doppelte Freitreppe
aus belgischem Blaustein empor. Das Hoch-
parterre enthielt hohe, schöne, schönausge-
stattete Wohnräume; die ziemlich niedrige erste
Etage ausrei-
chende Schlaf-
zimmer. Dar-
über spannte
sich ein starkes,
mächtiges Dach,
mit drei Söllern
für Kaufmanns-
waren, welche
vermittelst eines
gewaltiges Ra-
des hochge-
zogen werden
konnten.

Später stellte
sich heraus, daß
der Drost von
Muiden, Pieter
Corneliszoon Hooft, der zweitgrößte holländi-
sche Dichter und Geschichtschreiber, dieses
Haus bewohnt hatte. Leider war die Zeit
der Würdigung historischerund kunsthistorischer
Altertümer noch nicht angebrochen. Archi-
tekten gab es nur vereinzelt und auch diese
konnten sich keineswegs des Vertrauens rühmen,
welches der „Makelaar en Mr. Timmerman"
beim Publikum genoß. Besagter Makelaar
en Mr. Timmerman besorgte den Häuserkauf
und Verkauf und nahm die gewünschten
Änderungen und Verbauungen vor. Das Ideal
eines solchen Mäklers und Zimmermeisters
war die ,,Kroonlijst", Kronliste, das Haupt-
gesims des Palladio oder Skamozzi, natürlich
aus Brettern fein und künstlich zusammen-
gefügt. Seine entschiedenste Antipathie da-
gegen war der Treppen- oder Schnörkel-
giebel. Wo er konnte, ging er ihm zu Leibe.

Abb. 2. Eckhaus in Amsterdam.

Auch meines Vaters Kauf- und Bauberater
legte bald einen Prachtentwurf vor, worauf
das zweistöckige Giebelhaus in ein vierstöckiges
verwandelt erschien, mit breiter Kroonlijst als
oberem Abschluß: Allgemeines Entzücken,
die Sache wurde gemacht.

Wie fein erschien in seiner ursprünglichen
Gestalt der untere Stock. Der Hausflur war
mit breiten Marmorplatten belegt, die Wände
mit ebensolchen bekleidet bis etwa 1,20 m
Höhe und darüber begann die Ausstattung
mit wunderhübscher italienischer Stuckplastik.
Da wurden die vier Jahreszeiten von wohl-
genährten, le-
bendigen Kin-
derchen darge-
stellt ; eine hüb-
sche Venus mit
Amorbegleitung
bewohnte die
Decke und ein
prächtiger Mars
stand in der
Nische, welche
den Übergang
des Hausflurs
in einen schma-
leren Korridor

vermittelte.
Durch die erste
Tür links betrat
man die Suite,
deren vorderes
Zimmer mit
Wand und Deckengemälden prangte, leider
stellten sie die Geschichte der Kleopatra dar,
nach damaliger Anschauung kein geeignetes
Schauobjekt für Kinderaugen: sie mußten einer
banalen Tapete weichen. Die Decke mit dem
schweren geschnitzten Rahmen wurde weiß
getüncht, die schöne Vertäfelung mit ihren
Goldborten erhielt eine zarte Schaumtorten-
und Milchschokoladenfarbe, der Mäkler-Zimmer-
mann hatte sein Werk vollbracht. Nein, noch
nicht ganz; auch das originelle Rokokogarten-
haus mit zinnernem Waschgerät mußte noch
niedergelegt werden um einem Hühnerhof
Platz zu machen.

Was gab es da nicht alles zu sehen von
den hohen Vorderfenstern aus. Wie gesagt,
der Fuß- und Fahrverkehr war nicht groß:
aber die Gracht — der Kanal — zeigte ein für
Kinderaugen höchst interessantes und erfreu-

Abb. 3. Haus in Amsterdam.
 
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