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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Raspe, Theodor: Ein Kelch von ungarischer Drahtschmelzarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0106

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151

1909. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

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sprochenen Zweck, nur wenig mehr als den
Boden zu decken und durch die leicht mulden-
ähnliche, unregelmäßige Lage, die den Licht-
fall begünstigt, weit stärker als die matten,
ebenen Farbenfelder der Zellenschmelze.

Man hat fälschlicherweise die Drahtschmelz-
technik oft „Filigranemail" genannt, oder beide
Ausdrücke ohne Unterschied gebraucht. Wie
häufig erklärt sich dieser Mißbrauch des
Fremdwortes „Filigran" daraus, daß man die
genaue Übersetzung des Wortes vergißt und
nur die äußere Erscheinung zur Wahl der
Bezeichnung in Betracht zieht. Die umrah-
menden Ränder der Schmelzzellen setzen sich
in der Tat nicht aus einzelnen Silberkörnchen,
die als Reihe einen gekörnten Faden bilden,
zusammen. Es sind einfache Silberdrähte,
die gedreht sind oder in bloßer Nachahmung
des gedrehten Fadens durch Einkerben ein
verwandtes Aussehen erhalten haben. Es
zwingt uns auch nichts zu der Annahme, daß
die Drahtmusterungihren Ursprungvon Filigran-
rändern ableitet, weil schon in der Antike ge-
flochtener oder gebogener Draht zur Um-
rahmung benutzt wurde. Immerhin, selbst
wenn solche Beziehungen nachzuweisen wären
und der gedrehte Draht den Eindruck von
Filigranarbeit machte, sollte unsere wissen-
schaftliche Sprache derartig zum Mißverständ-
nis verleitende Ausdrücke vermeiden.

Die Einfachheit der Technik macht es
überflüssig nach einer ununterbrochenen Ver-
bindungskette vom Ausgang der Antike an zu
suchen; es ist aber durchaus nicht unwahr-
scheinlich, daß sie bestanden hat. Ebenso
besteht wohl ein Zusammenhang zwischen
den verschiedenen Fabrikationsstätten, die in
Italien, Deutschland, Ungarn und Rußland die
Schmelztechnik geübt haben. Als Ursprungs-
land müssen wir Norditalien ansehen; da-
mit gewinnen wir zugleich den Hinweis auf
eine Tradition, die auf die Römerzeit zurück-
geht. Von Italien — Venedig und Friaul
werden hier als Zentralen genannt — hat die
eigenartige Technik ihren Weg nach Deutsch-
land und Ungarn genommen, um sich von da
weiter nach Rußland zu verbreiten. Dabei muß
die Frage offen bleiben, wieweit sich Ungarn
und Deutschland, dessen Künstler ja zahlreich
am ungarischen Hof und in der Hauptstadt
arbeiteten, gegenseitig beeinflußt haben.

In Deutschland wurde die Technik haupt-
sächlich in der Renaissancezeit gepflegt und

fand in erster Linie für kleine Geräte oder
Ziersachen eine mannigfaltige Anwendung.
Auch hier bildete ein einfach gedrehter Draht,
der auf den Silbergrund aufgelötet wurde, die
Umrahmung der Zellen. Im Farbenklang ab-
weichend wirken die russischen Drahtschmelz-
geräte, die meistens späteren Jahrhunderten
angehören und nur in der Zeichnung, wie in
der farbigen Erscheinung die Überlieferung
verraten, in der Ausführung aber derber ge-
worden sind.

Am einseitigsten ist die Drahtschmelz-
technik in Ungarn bevorzugt worden, wo sie
zu einem Spezialzweig der Goldschmiede aus-
gebildet wurde und, ohne jeden Anflug von
Überladung oder exotischer Buntheit, zu wirk-
licher Vollkommenheit gelangte.

Ein Kelch von spätgotischem Charakter
aus dem Anfange des XVI. Jahrh., der durch
Schenkung in den Besitz des hamburgischen
Museums für Kunst und Gewerbe gelangt
ist,1) illustriert vorzüglich die technisch und
künstlerisch vollendete Art der ungarischen
Drahtschmelze. Nur Nebendinge unterscheiden
ihn von dem bekannten Kelch in Kloster-
neuburg bei Wien, den Bergner*) versehent-
lich in die Mitte des XIV. Jahrh. setzt und
einer Goldschmiedeschule der Wiener Gegend
zuschreibt.

Die Höhe des auf der Oberseite vergol-
deten Kelches beträgt 22,7 cm. Seine Form
hält sich durch den sehr stark hervortretenden
Knauf ganz im üblichen Rahmen der Gotik,
zeichnet sich aber im übrigen durch gut ab-
gewogene Verhältnisse aus, indem sie die
ruhige Mitte zwischen Schlankheit und Ge-
drungenheit wahrt und in der gemächlichen
Ausladung des Fußes ein wohltuendes Gegen-
gewicht zur Kuppe besitzt.

Schmelzwerk und Goldschmiedearbeit ent-
sprechen sich in sorgsamer Ausführung. Die
sechsteilige symbolische Gliederung beginnt
beim Fuße, setzt sich am Schafte über den
Knauf hinweg fort und kommt auch noch an
der Kuppe in den eingesetzten Schmelzplatten
zum Ausdruck. Ebenso spiegelt der Kelch
mit allen Einzelheiten im Kleinen das Ideal
wieder, das sich am reinsten und feinsten in
der gotischen Baukunst aussprechen konnte,

') vg'- J-Brinckmann, »Bericht für dos Jahr
1906« Seite 38.

*) »Handbuch der kirchlichen Kunstaltertümcr in
Deutichland«, (Leipzig 1905), Seite 825, Abb.Fig.270.
 
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