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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Schnütgen, Alexander: Vier St. Johannis-Schüsseln des XV. und XVI. Jahrhunderts
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Abhandlungen.

Vier St. Johannis-Schüsseln des XV.
und XVI. Jahrhunderts.

(Mit 4 Abbildungen, Tafel VI.)
|annigfach war die Art, wie
durch das ganze Mittelalter
bis in die letzten Jahrhunderte
die ganz ungewöhnliche Ver-
ehrung Ausdruck fand, die
der hl. Johannes Baptist als der unbefleckt
Geborene, als der Vorläufer des Herrn, als
der große Bußprediger und Blutzeuge, als „der
Größte, der vom Weibe Geborenen" genoß. —
Als eigenartige, namentlich in Deutschland
sehr beliebte Zeugen dieser Verehrung er-
scheinen die vom XIV. bis ins XVIII. Jahrh.
im Norden wie im Süden stark verbreiteten
Johannisschüsseln, die vornehmlich in den
ihm zahlreich geweihten Kirchen aufbewahrt
wurden. Gerne wurden sie, besonders an
seinen Festtagen, auf seinen Titelaltar ge-
legt, mit ihnen auch, in frommem Glauben,
das Haupt solcher berührt, die von Kopf-
schmerzen heimgesucht waren. — Zumeist
aus Holz, zuweilen aus Metall, nicht selten
sogar aus Stein gebildet, ganz ausnahmsweise
in Reliefstickerei, boten sie dem Bildhauer
Gelegenheit und Veranlassung, ihre Ausdruck-
fähigkeit zu dokumentieren. Erst mit dem
Schluß des Mittelalters gelangte dieses Bestreben
zu drastischer Wirkung, dank dem mächtig
sich entwickelnden Realismus. — Diesen
Fortschritt illustrieren die 4 hier abgebildeten
Exemplare meiner Sammlung.

1. vor zirka 15 Jahren in Frankfurt er-
worben; bemalte Schüssel von 50 cm Breiten-,
55 cm Höhendurchmesser, aus Eschenholz ge-
dreht, hat einen oben 31 cm ausladenden, unten
mit dem Lockenbart flachaufliegenden polychro-
mierten Kopf aus Nußbaumholz, dessen Augen
halbgeschlossen, dessen Lippen mäßig geöffnet
sind. Gesichtsausdruck und Haardressur tragen
noch das Gepräge der Hochgotik, wie sie
sich namentlich in der Kölner Plastik betätigte;
und auch die weiche, alles Blutige geflissent-
lich vermeidende, alles Schmerzhafte ver-
klärende Behandlung läßt auf diesen Ursprung
im Beginn des XV. Jahrh. schließen. Das
oben ganz frei sich ablösende, also vollrunde
Haupt ist auf die 5 cm tiefe Schüssel derart

aufgeschraubt, daß der Bart direkt deren Grund
bedeckt, also der Schwertschnitt ganz fehlt.
Die edle Auffassung des dem Beschauer stark
entgegenkommenden Antlitzes verleiht diesem
seltenen Exemplar einen besonderen Wert.

2. vor zirka 10 Jahren im Münchener
Kunsthandel erstanden, Schüssel von 32 ä
34 cm Durchmesser aus Birnbaumholz gedreht,
in lasurierter Tonung, mit 13 cm vortretendem
Marmorkopf, der fast vollrund aufliegt, Haar
und Bart vergoldet, starke Blutmarkierung des
ganz flach durchschnittenen Halses. Die
breitgeschlitzten, nur wenig geöffneten Augen,
der fein empfundene halboffene Mund, die
gedrehte Haar- und Bartbehandlung wie der
ganze Gesichtstypus lassen den oberitalienischen
Ursprung vermuten.

3. vor etwa 30 Jahren in Köln gekauft, flache,
kreisrund aus Nußbaumholz gedrehte Schüssel
von 53 cm Durchmesser, auf der das, eben-
falls aus Nußbaum gebildete Dreiviertel-Haupt
in einer Ausladung von 20 cm flach aufliegt,
meisterhaft im Ausdruck und von dem aufs feinste
stilisierten Lockenhaar umrahmt, welches auch
hinter dem durchschnittenen Halse sich zeigend,
den Kranz zum Abschluß bringt, hier das dichte
Blutgerinsel auffangend. Die scharfen Brauen
die tiefliegenden stark gequollenen Augen-
lider, der verzerrte Mund geben dem bleich
gefärbten Antlitz mit den vergoldeten Haaren
einen ungemein feierlichen Ausdruck. Wohl
am Niederrhein um 1500 entstanden.

4. in Münster vor etwa 25 Jahren gekauft,
Schüssel und Kopf aus demselben Stück Eichen-
holz geschnitzt, 50 ä 53 cm im Durchmesser, bei
18 cm Ausladung. Die Schüssel in Silberlasur
mit der Majuskelinschrift des XVII. Jahrh.: EN
Q VOMODO PERIT- IIA DEO D1LECTUS-
Der derbe Kopf, der oben fast vollrund auf-
liegt, unten ganz flach mit den gedrehten
Bartzöpfen, wirft nach rechts und links seine
schweren langen Baitlocken, die über den
Rand der Schüssel flutend, mächtig wirken,
schwarz auf dem Silbergrund, der sonst nur
noch die Blutspuren zeigt. Wohl ein Ergeb-
nis der westfälischen Schule im Anfange
des XVI. Jahrh., in der um diese Zeit die
drastische Behandlung des Lockenhaares sehr
beliebt war. Schnütgen.
 
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