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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Creutz, Max: Ein Reliquienschreinchen aus dem Anfang des XI. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0148

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219

1909.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

220

bis nach Westfalen erstreckte und hier all-
mählich abebbte, ist deutlich erkennbar in der
Durchbildung der Kopftypen, der Gewand-
faltung, den Evängelistensymbolen und dem
antiken Akanthusblattfries, wie er ähnlich bei
den Gravierarbeiten der Reichenau auf dem
Kästchen der ehemaligen Sammlung Spitzer
im Cluny-Museum wiederkehrt4). — Verwandt
ist besonders ein thronender Christus in Elfen-
bein auf einem Buchdeckel im Archiv zu
Münster i. W. — Im Verlaufe des XI. und
besonders im XII. Jahrh. ließ der Sinn für
die malerische Weichheit der ottonischen
Kunst mehr und mehr nach. Es trat eine
gewisse Vergröberung in der Durchbildung der
figürlichen und ornamentalen Bestandteile,
aber gleichzeitig auch ein stärkerer Sinn für
plastische Gestaltung auf. — Vergleicht man
die Aposteldar-
stellungen des
Friesoythekäst-
chens mit den
12 Apostelfigu-
ren der Ro-
gerusgruppe in
der Sammlung
Schnütgen5), so
wird der Unterschied besonders deutlich. Aus
einer bildartigen noch antikischen Darstellung
innerhalb eines Rahmens sind die Figuren
jetzt stark plastisch vom Hintergrunde getrennt.
Der -weiche Faltenwurf ist in gleicher Weise
wie die Körperformen streng linear heraus-
gearbeitet.

Wie in der Buchmalerei vollzieht sich
auch hier der Übergang von einer male-
rischen Auffassung zu einem zeichnerischen
Linienstile. — Die erste Hälfte des XII. Jahrh.
wird von dieser strengromanischen, im eigent-
lichen Sinne architektonischen Richtung be-
herrscht. —

Erst in der zweiten Hälfte des XII. Jahrh.

des X. und XI. Jahrh." in »Zeitschrift für christl.
Künste (1908). Nr. 6.

«) Abb. vgl. d. Verf. a. a. O. Nr. 6. Abb. 1.

') Von Domkapitular Schnütgen in Osnabrück
erworben. Abbildung im Bericht des Kölner Kunst-
gewerbemuseums 1907.

erfolgt unter Einwirkung der byzantinischen
Kunst wieder eine gewisse Rückkehr zur
flächigen Auffassung. — Besonders deutlich
zeigen dies die Apostelfigürchen vom Fritzlarer
Frontale, die übrigens in der ganzen Ge-
staltung, der Trennung durch ähnliche Säul-
chen und der Wiederkehr des jetzt allerdings
stark romanisch vergröberten Blattfrieses, mit
dem Friesoythekästchen eine gewisse Ver-
wandtschaft zeigen.

Jedenfalls gehört die Gruppe dieser oft
behandelten Gestalten in die Entwicklung des
rheinischen westfälischen Kunstkreises. — Es
vollzieht sich hier in der Entwicklung der
Plastik ein ähnlicher Vorgang, wie auf orna-
mentalem Gebiete. Die bekannte Ranken-
ornamentik des Fredericus6) geht in ihren
spitzigen gezackten Blättern auf die Akanthus-

ranken karolin-

gisch - ottoni-
scherElfenbeine
zurück. DieTuo-
tilo-Tafeln von
St. Gallen und
eine Elfenbein-
platte mit dich-
tem Blattwerk
im germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg
könnten hier als Vorbilder gedient haben.
Den Übergangsstil vertritt der vergoldete Weih-
wasserkessel aus Bronze von der Reichenau im
Museum zu Sigmaringen, der sich an karolin-
gische Denkmäler in seinen figürlichen Dar-
stellungen anschließt, jedoch neues Moment7)
herausarbeitet. Aus der weichen antikischen
Behandlung vollzieht sich auch hier die Um-
gestaltung in eine zwar vergröberte, jedoch
heimische Kunstübung. Und es wird inner-
halb der Kunst des Mittelalters eine weitere
Aufgabe sein, die verschiedenen Gruppen in
ihrer Entwicklung, wie sie sich auf heimischem
Boden bis in alle Einzelheiten vollzog, zu
verfolgen und festzulegen.

Abb. 5.

Köln.

Max Creutz.

6) Vgl. Otto v. Falke, »Rheinische Schmelz-
arbeilen des Mittelalters«. S. 37.

7) Vgl. die verwandte Elfenbeinpyxis des Kölner
Domes. Abb. vgl. d. Verf. a. a. O. (1908) Nr. 6.
 
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