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Zeitschrift für christliche Kunst — 22.1909

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Cohen, Walter: Ein neuaufgefundenes Werk von Petrus Cristus
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https://doi.org/10.11588/diglit.4153#0155

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Abhandlungen.

Ein neuaufgefundenes Werk von
Petrus Cristus.

(Mit Abbildung, Tafel VIII.)
or etwa drei Jahren begann
man auf Schloß Vollrads
bei Winkel im Rheingau1)
mit durchgreifenden Er-
neuerungsarbeiten. Diese
erstreckten sich nicht nur
auf die Wiederherstellung der zahlreichen
Korridore und Wohnräume mit ihren prächtigen
barocken Plafonds und Boiserien, auch die
Gemälde, obschon ohne hervorstechenden
künstlerischen Wert und in der Mehrzahl zu
rein dekorativen Zwecken verwandt, wurden
unter Leitung des Malers Herrn Franceschelli
aus Wiesbaden einem gründlichen Restaura-
tionsprozeß unterworfen. In der gräflichen
Schloßkapelle hing neben einer Raffaelkopie
und anderen Gemälden unbekannter Maler eine
niederländische Kreuzigung mit dem Datum
1559.2) Ich habe dieses Bild nicht gesehen, aber
es wird mir von sachverständiger Seite be-
richtet, daß sein künstlerischer Wert nicht eben
bedeutend gewesen sei. Dieses Datum spannt
ja auch keine großen Erwartungen an. Herr
Franceschelli nun beginnt an der Tafel zu
putzen und bemerkt bald, daß die obere Farb-
schicht nur lose aufsitzt, vielleicht arbeitet er
etwas zu energisch — wir verargen es ihm
keineswegs — jedenfalls ist das Erstaunen groß,
als bald zunächst der Kopf des Christkindes
zum Vorschein kommt und da man sich ent-
schließt, dieses ganze Kreuzigungsbild zu ent-
fernen, ist das Resultat ein in den wesent-
lichsten Zügen guterhaltenes Madonnenbild
eines älteren Meisters. Die Entfernung der
Übermalung war dadurch erleichtert, daß das
Bild zunächst mit einer Deckfarbe in hell-
gelbem Ockerton überstrichen war, die keine

') Über die Geschichte des Schlosses zu vergleichen:
»Goethe, Im Rheingau Herbsttage«, Supplement
des Rochusfestes (1814). — »Rheinischer Antiquarius« II
Band 11, (1868) S. 211 ff. — Simrock, »Das
malerische und romantische Rheinland« (1865) S. 214. —
L o t z, »Baudenkmäler im Regierungsbezirk Wiesbaden «,
(1880) S. 420. —Ferdinand Luthmer, »Die Bau-
und Kunstdenkmäler des Rheingaues«, Bd. I. (1902 S.224-

2) Goethe: „In der kleinen Kapelle wird noch
Gottesdienst gehalten; auch diese ist nur notdürftig
reinlich. Ein Paar kl eine griechische Bildchen
verdienen kaum aus diesem allgemeinen Verderben
gerettet zu werden."

Verbindung mit den Farben des darunter be-
findlichen Gemäldes eingegangen war. Auch
der alte flache Bildrahmen, der ebenfalls übermalt
gewesen war, kommt mit seinen alten Inschriften
wieder zum Vorschein und gerade deren wich-
tigster, der untere Teil, ist intakt geblieben.
,,Petrus Cristi me fecit A(nnö) D(pmint) 144g".

Als einer der ersten hat Direktor Dr.
Swarzenski in Frankfurt a. M. das immerhin
arg mitgenommene Gemälde gesehen und
seine Echtheit bestätigt. Für die Kenner alt-
niederländischer Malerei und insbesondere des
Petrus Cristus liegt in der Tat kein Anlaß vor,
sie zu bezweifeln. Sollte aber das Madonnen-
bild wieder zur alten Geltung kommen, war
eine Wiederherstellung dringendes Gebot. In
Herrn Heinrich Fridt in Köln fand man den
rechten Mann, der nach jahrelanger mühe-
vollster Arbeit, vielfach beraten vom Heraus-
geber dieser Zeitschrift, eine in der Tat ver-
ständnisvolle und künstlerische Restauration
unternommen hat — selbstverständlich mit
strengster Gewissenhaftigkeit den ursprünglichen
Zustand zu Grunde legend. Leider gibt die
Abbildung keine hinreichende Vorstellung, sie
läßt auf eine gewisse Leerheit in der Model-
lierung des Kopfes der Maria schliessen: in
Wirklichkeit ist gerade sie geglückt. In dem
altertümlichen Bibliothekzimmer auf Schloß
Vollrads hat das farbenleuchtende Original eine
recht glückliche Aufstellung gefunden. Dem
Besitzer, Herrn Grafen Matuschka-Greiffenklau,
danke ich auch an dieser Stelle für die gütige
Erlaubnis, das Bild zu veröffentlichen.8)

Das Haar der Maria ist goldblond mit
sorgfältiger, zeichnerischer Hervorhebung der
einzelnen Haare. Das natürlich - lebenswahre,
leichtgelbliche Inkarnat hat einen rötlichen
Anhauch. Ungemein zart ist die Modellierung
der Fleischteile, mit durchsichtigen Schatten,
besonders bei der linken Hand. Die Haupt-
farben sind Rot und Grün; ein leuchtkräftiges
zinnoberartiges Rot in dem mit schmaler
Goldborte geschmückten Mantel der Jungfrau
zur Rechten ist es beschattet und dumpfer;
das Futter des Mantels zeigt das wunderschöne
satte, fast ungebrochene, wie Moosgrün in der
Sonne blitzende Grün, das man auch aus

8) Die Masse des auf Eichenholz gemalten Bildes
sind: Höhe 0,57, Breite 0,39 m ohne Rahmen; mit
dem Rahmen: 0,70X">52 m-
 
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