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Zeitschrift für christliche Kunst — 29.1916

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Klingelschmitt, Franz Theodor: Eine rheingauer Madonna mit Kruseler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4343#0114

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Nr. 7 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

99

EINE RHEINGAUER MADONNA MIT

KRUSELER.

(Mit vier Abbildungen.)

Trotz Beissels1 Bemerkung, daß die Gewandung der Madonnen der Gotik
immer mehr der Tracht der Zeit angepaßt wird, gilt doch der Satz, daß für
sie wie für Christus und die Apostel, im Gegensatz zu den anderen Heiligen,
im ganzen Mittelalter eine ideale Kleidung festgehalten wird, die sich letzten
Endes von der Antike herleiten läßt. Nur einmal ist, soweit ich sehen kann, ein
Stück der Zeittracht, ja sogar der Zeitmode, auch in die Darstellung der Madonna
eingedrungen, nämlich der Kruseler, jene seltsame Haube, die fast alles Haar
verbergend, das Antlitz mit Rüschen von feinem Linnen einrahmt und sie oft noch
wie Kissen auf die Schultern legt. Diese, wie es scheint, einzige Ausnahme von
der oben festgestellten Gewohnheit ist noch kaum gewürdigt worden. Es dürfte
daher nicht unwillkommen sein, wenn hier im Anschluß an ein Stück, dessen ört-
liche Herkunft feststeht, einige Bemerkungen über Madonnen mit Kruseler ge-
macht werden.

Die Madonna (Abb. 1), von der hier die Rede sein soll, wurde von mir vor Kriegs-
ausbruch im Wiesbadener Kunsthandel erworben. Sie stammt aus Ostrich im Rhein-
gau. Ihre Höhe beträgt 0,67 m, ihre Bodenbreite 0,30 m, das Material ist Linden-
holz. Von der alten Bemalung haben sich nur Reste des Kreidegrundes an einzelnen
tiefen Stellen erhalten. Mit ihr ist von der künstlerischen Wirkung des Bild-
werkes außerordentlich viel verloren gegangen, zumal da die Technik überaus
altertümlich ist. So sind die Augen noch wie bei romanischen Skulpturen kugelig
hervorquellend ohne Einzelheiten. Im Gegensatz dazu sind Mund und Kinn über-
aus fein behandelt, während Hals und Hände wieder ganz ungegliedert sind. Die
Brüste sind nicht einmal angedeutet, die Schultern fallen steil ab. Dabei läßt aber
das am Kopf wie in den unteren Partien deutlich verspürbare Streben, mit dem
Schnitzmesser in die Tiefe zu gehen, trotz der fast romanisch linienhaften Behand-
lung des Oberkörpers erkennen, daß das Bildwerk dem vorgeschrittenen XIV.
Jahrh. angehört. Dafür spricht auch die geringe Tiefe des Blocks, die gerade gegen
die Jahrhundertwende behebt wird und in unserem Falle nur 0,09 m beträgt.
Dagegen aber spricht die starre Frontahtät, die Geschlossenheit des Umrisses,
die Symmetrie der Faltengebung. Somit bietet die zeitliche Einordnung der
Arbeit beträchtliche Schwierigkeiten, über die auch das modische Motiv des
Kruselers nicht hinweghelfen kann. Denn dies merkwürdige Kleidungsstück
hat ein überaus zähes Leben gehabt. Nach Bergner2 wäre es schon gegen 1340
aufgekommen, und Mechtild von Waldeck, deren Grabmal in Konradsdorf bei
Büdingen in Oberhessen von Back3 vor 1350 angesetzt wird, trägt es schon.
Zudem wird bereits 1356 in einer Straßburger Kleiderordnung gegen Auswüchse

1 Stephan Beissel, Geschichte der Verehrung Marias in Deutschland während
des Mittelalters. Freiburg 1909, 329.

2 Heinrich Bergner, Handbuch der bürgerlichen Kunstaltertümer, Leipzig 1906,
II, 519.

3 Friedrich Back, Mittelrheinische Kunst, Frankfurt 1910, 13 und Tafel II, 1.
 
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