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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Jessen, Peter: Wohin treiben wir?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0013

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Bordüre, im Stile ungarischer Bauerustickereien, entworfen von Architekt Bela Benczur, Budapest.

Ungefähr ^/g der wirklichen Größe.

ohin treiben wir?

Von Peter Jessen.

er Heuer im Jubeljahr des großen Krieges
und des neuen Reichs unser deutsches
Kunstgewerbe überblickt, kann sich nicht
verhehlen, daß wir an einem todten
Punkte angelangt sind. Der frische Muth
und der frohe Erfolg, mit dem vor
25 Jahren die kunstgewerbliche Bewegung in Deutschland
einsetzte und durchschlug, sind verweht; von allen Beiten
mehren sich die Zeichen des Mißtrauens und des Un-
behagens; auf der Bahn, die damals leicht und sicher zum
Biege zu führen schien, sind wir in ausgetretenen Geleisen
sestgefahren; es werden Btimmen laut, die selbst jene
ersten Erfolge nichtig und äußerlich schelten.

Es ist leider kein Zweifel, daß wir neuerdings auch
geschäftlich manche Einbuße erlitten haben. Fremde
Maaren, die wir nach s870 von unserem Markte mehr
und mehr verdrängt hatten, treten in beträchtlicher Menge
wieder auf. Was wir damals den Franzosen abrangen,
drohen uns jetzt die Engländer und Amerikaner wieder
zu entreißen; ihre Tapeten, Druckstoffe, Glasarbeiten,
Thonwaaren und selbst gewisse Möbel werden in er-
schreckendem Umfange eingesührt, und wir wären Thoren,
wenn wir uns einreden wollten, daß hier nur die Mode
ihr Bpiel treibe und nicht vielmehr nranche dieser Waaren
den unsrigen ernstlich überlegen seien.

Woher diese Blockung in den Bäften unseres Kunst-
gewerbes? Wie kommt es, daß wir unserer Arbeit und
unseres Besitzes nicht nrehr recht froh werden? Bind wir
in der That während dieser 25 Jahre auf falschem Wege
gewesen?

An Zahl und Umfang der kunstgewerblichen Bil-
dungsstätten, der Museen, Bchulen, Bibliotheken, stehen
wir keinem Volke nach. Beit aus der ersten Weltausstel-
lung von f85f einsichtige und wohlwollende Männer —
- Allen voran bekanntlich unser Gottfried Bemper — für
das Kunstgewerbe die Fürsorge des Btaates forderten,

haben die deutschen Regierungen, Btädte, Korporationen
und Privaten ansehnliche Opfer gebracht; gerade in den
nächsten Jahren werden wir noch manches 25 jährige
Jubiläum deutscher Gewerbemuseen zu feiern haben. Daß
sie eine Fülle von Anschauung und Fertigkeit in das Volk
und in die Werkstätten getragen haben, läßt sich nicht
leugnen. Niemand wird wünschen, daß das deutsche
Kunstgewerbe etwa s8st3 in Thicago so aufgetreten wäre,
wie es sich f867 in Paris darstellte.

Aber daß die Bchulen und Museen allein ein Kunst-
gewerbe nicht schaffen können, sollte schon aus den An-
fängen unserer deutschen Bewegung klar sein. Als im
Jahre (876 der bayerische Verein das deutsche Kunst-
gewerbe zugleich nrit der deutschen Kunst zum ersten Male
in den Glaspalast zusammenries, da führten nicht die
Museumsbeamten oder die Bchulmeister, sondern die
Künstler. And diese führenden Künstler waren nicht
Bpecialisten eines gewerblichen oder decorativen Faches^
sondern ganze Künstler, die frischesten und jugendsrohesten
Kräfte deutschen Blutes, darunter viele Jünger piloty's,
die erst eben unter denr tüchtigen Lehrer Naturfreude und
Farbenlust für die deutsche Kunst zurückerobert hatten.

In der Mitte der Ausstellung waren „Unserer Väter
Werke" versantnielt. Die alten Meister in Kunst und
pandwerk sollten das Vorbild, dis Richtung geben. Das
galt damals als selbstverständlich. Wie Bchinkel und Klenze
sich an der Antike geschult hatten, wie die kirchliche Kunst
in der Nachahmung des Mittelalters erstarkt war, wie
Bemper an seinen eigenen Bauten und in seinen Lehren
die Grundsätze der classischen Kunstepochen zur Geltung
gebracht hatte, so suchte und fand man auch jetzt einen
alten Formenkreis, der für die Gegenwart den Reiz der
Neuheit besaß. Die deutsche Renaissance, zu welcher
Gedon und seine Freunde griffen, empfahl sich durch eine
ganze Reihe von Vorzügen. Bie war das Werk des
deutschen Bürgerthums aus seiner kräftigsten Zeit gewesen;

Zeitschrift des bayer. Aunftgewerbc-Vereins München.

1896. Peft (23g. 1.)
 
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