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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 1
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Streiter, Richard: Tintenskizzen
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Unsere kunstgewerblichen Musterblätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0024

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materiell-technischen Verzügen tritt
noch das psychologische Moment
hinzu, daß durch die Verwendung
der sonst nur zum Schreiben die-
nenden, wenig geschätzten Flüssig-
keit die Skizze den Charakter des
„kfingefchriebenen", flüchtig Ent-
standenen , wenig Anspruchsvollen
erhält, wodurch sie, wenn künstlerisch
Werthvolles geboten wird, um so
stärker fesselt.

Was mit dieser Darstellungs-
weise zu erreichen ist, lassen unsere
Abbildungen deutlich ersehen. Na-
türlich ist die Tinte nicht das
Wesentliche dabei; die ksauptsache
ist die rasche, keck und sicher hin-
gesetzte, freihändige, perspeetivische
Skizze, die eine sehr geübte Sand,
eine durch fleißiges Zeichnen nach
der Natur geschärfte, bedeutende
Fähigkeit xerspectivischen Vorstellens,
vor Allem aber eines erfordert, was
nicht erlernt werden kann, nämlich
Phantasie.

Die Vortheile dieses freihän-
digen , persxectivischen Zeichnens
springen in die Augen. Es wird
dadurch das plastische Denken znr
Gewohnheit, es wird dem oft so
verhängnißvollen Eomponiren nach
einer Seite, wie es das geometrische
Entworfen mit sich bringt, der
Boden entzogen, es wird erinög-
licht, eine architektonische Idee sofort
in der beabsichtigten Ranmstimm-
ung, in der plastischen und male-
rischen Wirkung des Ganzen nieder-
zuschlagen. Aber nicht nur für
den zur Ausführung bestimmten
Entwurf ist diese Art, zu skizziren,
ein künstlerisches Verfahren von
großem Werth: die Tintenskizze er-
langt eine höhere, selbständige Be-
deutung dadurch, daß sie dem Archi-
tekten sich als bequemes, schmiegsames
Mittel bietet, seinen beim Bauen
durch die äußeren Umstände gewöhn-
lich allzusehr behemmten Schaffens-
drang frei sich ausleben zu lassen,
seine weder durch materielle Rück-
sichten , noch durch Wünsche eines
Bauherrn oder sonstige praktische
Erwägungen beeinträchtigten Phan-
tasiebilder und Stimmungen, wie
der Maler, der Dichter, der Musiker

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Silberner Tafelaufsatz, von Prof. Fritz v. Miller
(vgl. Tafel

in völlig freiem Gestalten fest-
zuhalten. Diese Seite der hier be-
trachteten Art architektonischen Skiz-
zirens hat Gtto Rieth im Vorwort
zur ersten Folge der von ihm ver-
öffentlichten , Aufsehen erregenden
Architekturskizzen mit folgenden
Sätzen gekennzeichnet:

„Vor Allem bin ich darin be-
kräftigt worden, daß das perspcc-
tivische Freihandzeichnen nicht nur
zu Studien für einen zur Aus-
führung bestimmten Bau zu dienen
hat, sondern daß es auch der freien
Phantasie die Mittel an die Land
gibt, ihre souveräne herrschaft zu
entfalten, d. h. auch auf dein Papier
zu bauen.

Ich brauche neben den Namen
fast aller Renaissancemeister nur
die von Lepautre, Marot, Bibiena
und piranesi zu erwähnen, »m
nachzuweisen, daß diese nie auf
Ausführung oder Ausführbarkeit
berechneten Architekturphantasien
auch iü anderen Aunstperioden die
unerläßlichen Ergänzungen der in
Wirklichkeit erstandenen Bauteil
sind; denn sie spiegeln die ganzen
Absichten einer poetischen Kunst
wieder und bezeugen uns den
Ueberschuß an Phantasie über den
Tagesbedarf."

So ist denn die Pstege der
freihändigen, xerspectivischen Archi-
tekturskizze, insbesondere der Phan-
tasieskizze, nicht nur als ein sicheres
Zeichen wahrhaft künstlerischer Auf-
fassung des architektonischen Schaffens
freudigst zu begrüßen, sondern es
darf wohl auch von der Verbreitung
solcher — der Ausdruck sei gestattet
— Architekturlyrik eine günstige
Wirkung auf das Publikum erhofft
werden. Denn bei Betrachtung
solcher durchaus künstlerisch vorge-
tragener Architekturdichtungen wird
auch der Laie sich daran gewöhnen,
die Architektur nicht nur, wie es
so üblich ist, als eines der „techni-
schen Fächer" zu erklären, sondern
als vollwichtige Kunst anzuerkennen,
deren Wesen Gottfried Semper so
treffend bezeichnet hat, indem er sie
„Raumpoesie" nannte.

Or. Rieb. Streiter.

Unsere Kunstgewerblichen <I)usterblWer.

Taf. Silberner Tafelaufsatz. Entwurf und Aus-
führung von Prof. Fritz v. Miller, München, (kföhe 90 cm,) hierzu
die obenstehende Abbildung \ Dieser Tafelaufsatz stellt ein Jubiläums-
geschenk in Gestalt eines reichen, goldblinkenden Schiffes dar. An der
freien Wand zwischen beu Schiffstreppen ist bcr deutsche Reichsadler,
über dem Steuer das Familienwappen des Jubilars angebracht; die
Widmung befindet sich auf dein Segel, unter welchem ein Genius init
Kränzen in den ausgebreiteten Armen steht. Ein Tritoii trägt das
Schiff durch die Braiidung; er erhebt sich auf einem wasserhellen, von

Wellen umspielten Bergkrystall. Die Umfassung und den Grund der
Wellen bildet grünes durchsichtiges Email mit Seethieren aller Art.
Der Sockel ist mit Perlmutter belegt.

Taf. 2. Erkerzimmer. Tintenskizze von Architekt Theodor
Fischer, München.

Taf. 3. Logen-Einbau in St. Emmeram zu Regensburg.

Taf. Moderne Blume nvase. Entwurf voll Architekt
lhans Friede!, München.

X

hierzu „kunstgewerbliche Rundschau" Nr. I.

Verantrv. Red.: Prof. £. Gmelin. — kferausgegeben vom Bayer. Aunstgewerbe-Verem. — Druck und Verlag von R. Aldenbourg, München.
 
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