Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Krell, Paul F.: Zur Symmetrie in Meurer's "Naturformenstudien"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0055

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
+- HZ +

\

Von prof. Dr. p. vf. Rrell.

n dem auf S. 67 des Jahrgangs ^8Y5 dieser Zeitschrift
abgegebenen Gutachten äußerte sich Director penzig, wir
dürfen, wenn in Natur auch die Tertiär- und (Puartär-
nerven in den beiden Blatthälften ungleich im Parenchym
verlaufen, und der Lontour der beiden pälften sich nicht
vollkommen mathematisch decke, deswegen doch einem regelmäßigen
Blatte nicht symmetrische Bildung absprechen. In der weitaus größten
Zahl unserer pflanzen seien doch symmetrisch gebildete Blätter vor-
wiegend. Wenn wir freilich die allerkleinsten Unterschiede mit inRechnung
bringen wollten, würden symmetrischeFiguren nur in der Theorie existiren.

Wie weit die Behauptung von der symmetrischen Bildung der
weitaus größten Zahl unserer pflanzen auf genauen Messungen berühr
muß ich dahingestellt sein lassen. Nach den von mir angestellten
Beobachtungen sind indessen die Abweichungen von der Symmetrie be>
vielen pflanzen gar nicht so gering, als daß sie einem künstlerisch
geübten Auge nicht sofort aufsallen würden. Die Ungleichheit der
Berippung sängt bei sehr vielen pflanzen keineswegs erst bei den
Tertiär- oder (lZuartärnerven an.

Als Beispiele von mäßig unsymmetrischer Bildung nenne ich die
Buche, den Nußbaum, die paselnuß, den Lorbeer, ja auch die Akazie.

Der asymmetrische Bau des pflanzlichcri Organismus ergibt sich
überhaupt schon daraus, daß die Linie des Wachsthums keine gerade
ist, sondern eine Turve und zwar keine in ebener Fläche sich bewegende
sondern eine schräubenartige.

Selbst durch das von Meurer als Typus total symmetrisch dar-
gestellte Eichblatt hat sich penzig nicht abhalten lassen, ersteren gegen
den Vorwurf unwahrer (d. i. naturwidriger) Schematisirung in Schutz
zu nehmen.

penzig verthcidigt Meurer auch auf dein künstlerischen Gebiet,
so hinsichtlich der Art der Darstellung der Berippung und der perspec-
tivischen Tonstructionen der Blattübersälle. Darüber will ich mich mit
ihm in keine Discussion einlassen.

Um aber bezüglich der Frage der Symmetrie einem Botaniker
von Fach nicht nur mit den Forschungen eines Laien gegenüber zn
treten, habe ich mich mit Physiologen, solchen der Botanik und solchen
der Anatomie und Zoologie in Beziehung gesetzt.

Es hat sich dabei herausgestellt, daß ein ähnlicher Streit, wie er
eben jetzt bezüglich der pflanzen geführt wird, vor etwa zehn Jahren
unter den Anatomen sich erhob. Auch da befand sich ein Theil der
Gelehrten im Banne der irrigen Voraussetzung, daß für das Aeußere
des menschlichen, wie des thierischen Körpers die absolute Symmetrie
das eigentlich Normale sei.

Die Unrichtigkeit dieser Annahme wurde namentlich durch die
Untersuchungen eines L. passe („Ueber Gesichtsasymmetrieon", „Die
Ungleichheit der beiden pälften des erwachsenen menschlichen Beckens",
„Die Formen des menschlichen Körpers und die Formänderungen bei
der Athmung"), eines p. welker („Die Asymmetrieen der Nase und
des Nasenskeletes") und eines W. Marsch all („Ueber Asymmetrie
im Körperbau der Thiere, besonders der Schollen und ihrer Ver-
wandten") dargethan. Der Sieg der gegentheiligen Ansicht ist daher
bei den heutigen Physiologen so gut wie entschieden.

Bezüglich der Botanik wandte ich mich an einen der hervor-
ragenden Gelehrten der Universität München, prof. Vr. K. Göbel,
der die Güte hatte, die betreffende Frage einer besonderen prüsung zu
unterziehen. Das Resultat derselben ist enthalten in dem folgenden
Gutachten:

Absolut symmetrische Formen gibt es in der Pflanzenwelt nicht,
sondern nur annähernd symmetrische. Die Angaben über das vor-
kommen absolut symmetrischer Bildung beruhen auf nicht genügend
scharfer Beobachtung resx. auf der Unnröglichkeit genauer Messung.

Man kann nicht Nachweisen, daß es in der specifischen Lonstitution
des Protoplasmas irgend welcher pflanze gelegen sei, ein Gebilde von
absoluter Symmetrie herzustellen, so daß es also immer nur äußere
Umstände gewesen wären, welche die Erreichung dieses Zieles ver-
hindert hätten.

Das Vorkommen vieler derartiger Bildungen im Pflanzenreich
(wie in der übrigen organischen Welt), bei welchen eine entschieden
asymmetrische Anordnung zu den specifischen Eigenthümlichkeiten der
betreffenden Organismen gehört, legt die vermuthung nahe, daß eine
mehr oder minder große Abweichung von der Symmetrie zu deu
ursprünglichen Gestaltungsmomenten der pflanzen überhaupt gehöre.
Dies spricht sich z. B. aus bei den Blättern der Farne und Moose.
Dieselben sind (namentlich deutlich die letzteren) durch die Art ihres
Scheitelwachsthums von vornherein asymmetrisch angelegt, später, am
erwachsenen Blatt, macht sich das weniger geltend. Bei einfachen,
einzelligen, symmetrischen Algen, z. B. den Desmidien, sind die beiden
pälften stets nur annähernd gleich.

Jedenfalls kann man die unsymmetrischen Bildungen, wie sie
z. B. bei den Blättern von Eiche, Linde, Ulme, Begonie, Eucalyptus
u. s. w. Vorkommen, nicht als Ausnahmen, sondern nur als Extreme
bezeichnen.

München, 2\. December 4395.

prof. Dr. Göbel.

Nachwort der Schriftleitung. Zu obigen Aeußerungen
sei zunächst sestgestellt, daß Meuer in seinem Werke nie von einer „ab-
soluten" Symmetrie der Blattformen gesprochen, sondern wiederholt
betont hat, daß die Symmetrie nur als eine relative aufzufassen sei;
beispielsweise enthält gleich der Text zur ersten Tafel den Satz: „Indi-
viduelle Unregelmäßigkeiten kommen aber auch bei den der Idee nach
symmetrisch gebauten Blättern allerorten im Blatte vor." Wenn
Meurer einen großen Theil der Blatttypen in seinen „pflanzensormen"
vollkommen symmetrisch dargestellt hat, so ist dies nicht geschehen,
um die absolute Symmetrie zu behaupten, was schon daraus hervor-
geht, daß zahlreiche naturalistisch gezeichnete Blätter allen Unregel-
mäßigkeiten vollkommen Rechnung tragen. Die symmetrisirende Dar-
stellung der Blätter hat Meurer aus künstlerischen und erziehlichen
Gründen gewählt, die man billigen kann oder nicht, die aber mit der
Behauptung, daß die Blätter auch wirklich symmetrisch seien, nicht
verwechselt werden darf.

Trotz dieser Sachlage haben wir obigen Auslassungen des prof.
Vr. Krell sammt dem Gutachten des prof. Vr. Göbel gerne Raum ge-
geben, um eine völlige Aussprache zu ermöglichen. Die Frage, ob sym-
metrisch gestaltete pflanzentheile überhaupt Vorkommen — eine Frage,
über welche laut Gutachten der perren Professoren penzig und Göbel
auch die Gelehrten noch nicht einig sind —, scheint uns je nach der
Schärfe, welche man der Definition des Wortes „symmetrisch" gibt, in
bejahendem oder verneinendem Sinne beantwortet werden zu können.
Wer von der Symmetrie völlige, bis in die kleinsten Einzelheiten und
Maaßverhältnisse gehende Uebereinstimmung der beiden Theile verlangt,
der wird überhaupt keine symmetrischen Gebilde finden; für das künst-
lerische, bezw. tektonische Studium des Pflanzenausbaues ist es aber
gleichgültig, ob diese völlige Symmetrie in der Natur besteht oder nicht.
Zur Erläuterung dieses mögen die Abbildungen von pflanzenknosxen,
Nr. 55—60, dienen; dieselben sind nach vergrößerten Naturaufnahmen,
die wir dem Entgegenkommen Professor Meurer's verdanken, angefertigt.
Jedes halbwegs geübte Auge wird an jedem dieser Beispiele theils
sofort, theils erst nach eingehenderer Prüfung die Unsymmetrien wahr-
nehmen ; und dennoch wird jeder Unbefangene diese Gebilde für „sym-
metrische" erklären. Die Abweichungen mögen physiologisch bedeutend
sein und sich durch die Gesetze des Wachsthums begründen lassen;
für einen, der sein künstlerisch-tektonisches Empfinden an dem Aufbau
der pflanze schulen will, kommen dagegen diese Abweichungen von
der Symmetrie bei solchem Zwecke des Studiums nicht in Betracht.
Man könnte die Symmetrie den formalen Ausdruck eines Gleichgewichts-
zustandes nennen; und wenn der Zeichner als technisch empfindendes
Individuum jene pflanzentheile völlig symmetrisch darstellt, so stxirt
er damit jenen Grenzwerth, dem das natürliche Gebilde in seiner
Gestalt nahe kommt, physiologisch mag ein solches Abgleichen ein
Fehler sein, — künstlerisch ist es vollkommen berechtigt.

L. Gmelin.

_/

v
 
Annotationen