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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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Gmelin, L.: Die Stickereien von H. Obrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0065

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73. Bordüre; im Stile ungarischer Bauernstickereien entworfen von Architekt Bela Benczur, Budapest.

2/g der wirk!. Größe.

Die HWreim

eltsam muthet es die meisten Menschen an,
wenn sie hören, daß ein Bildhauer eine
Reihe von neuen, eigenartigen Stickereien,
die nach seinen Angaben ausgeführt sind,
irgendwo ausstellt; denn erstens stellt man
sich unter „Bildhauer" einen Aünstler vor,
dessen ganzes künstlerisches Denken in der plastischen Er-
scheinung wurzelt, was ja mit Stickereien sich schwer
vereinigen läßt, und zweitens steht die Stickerei als Aunst
in den Augen der meisten Menschen nicht so hoch, daß
man sich in dieser Technik wirklich individuelle Aunst-
leistungen vorstellen kann. Wohl erinnert man sich der
kostbaren gestickten Meßgewänder und
ähnlicher Dinge aus früheren Jahr-
hunderten oder der berückenden Arbeiten
japanischer Nadelkünstler der Jetztzeit;
aber daß ein Vertreter der „hohen Aunst"
sich soweit herablasse, sich für die be-
scheidene Nadelmalerei zu interessiren und
gar für sie zu arbeiten, liegt außerhalb
dem Bereich der Wahrscheinlichkeit.

Solche Gedanken mögen Manchem
gekommen sein, als er vor einigen
Monaten von der durch Bildhauer per-
mann Mbrist veranstalteten Ausstellung
künstlerischer Stickereien vernahm; und
doch müßte sich hierfür jeder interessiren,
der sich um die Bewegungen im moder-
nen Aunsthandwerk kümmert. Mehr und
mehr ist ja hierfür in den letzten Jahren
der enge Anschluß an die Natur als
Losung ausgegeben worden, und da mußte
es von Interesse sein zu sehen, wie sich
die Durchführung des Experiments in
der Praxis ausnehme.

Da es sich bei der Stickerei im Wesent-
lichen um eine Flächendecoration
handelt, so ist von vornherein klar, daß

') Die zu diesem Artikel gehörigen Lliches
7-z—76 verdanken wir dem freundlichen Entgegen-
kommen des Lommissionsverlags des „Pan".

von O. $mjT

dies der günstigste Boden für einen solchen Versuch ist.

Denn eine der natürlichen Erscheinung angenäherte Dar-
stellung von Pflanzen ic. hat am ersten da eine Be-
rechtigung, wo der betreffenden Fläche keine andere Rolle
zufällt als die, einen vorhandenen Rahmen, sei's in einen:
Wandfeld, sei's an einem Windschirm oder wo immer,
zu füllen.

Dieser Art waren die meisten und namentlich auch
die besten der Vbrist'schen Stickereien: selbständige Bilder
die zur Abwechselung mit Nadel und Faden auf ein Ge-
webe, statt mit Stift oder Feder auf Papier hergestellt
sind, — Bilder, die genau wie eine Bleistift- oder Feder-
zeichnung — keine plastische Wirkung
Vortäuschen wollen, sondern der natür-
lichen Erscheinung des Dargestellten nur
soweit nachgehen, als mit der Technik
die Stickerei sich verträgt. Diese Technik
selbst konnte aber mit Recht den Anspruch
machen, nicht nur neue Wege einge-
schlagen zu haben, sondern als eine Ver-
besserung gegenüber anderen Sticktechniken
angesehen zu werden. Während inan
sonst bei den naturalistischeren Stickereien
meist den durch parallele Fadenlagen ge-
bildeten Plattstich angewendet sieht, —
so namentlich bei den vielgerühmten ja-
panischen Arbeiten —, folgen bei den
Gbrist'schen, von Bertha Ruchet ausge-
führten Stickereien die Fäden genau den
Fasern der Blüthenblättchen, selbst bis-
weilen unter Berücksichtigung des Reliefs,
was manchmal durch besondere Unter-
lagen hervorgerufen, aber kaum jemals
über eine leise Schwellung hinaus ge-
steigert wird. Daß ein solches Arbeiten
beständiges Nachdenken erfordert, aber
auch zu viel reizvolleren, naturfrischeren
Bildern führen kann, liegt auf der pand.
Thatsache ist, daß der größte Theil aller
zur Ausschmückung verwendeten Blumen rc.

— soweit dieselben überhaupt natürlichen

_/

Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

*8%. Heft 7. (Sg. [.)
 
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