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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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Gmelin, L.: Slavische Stickereien auf der Prager Ausstellung (1895)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0067

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AMD HUMm Ms M Krlgkk MffMng (J$95).

ein Besucher der letztjährigen Ausstellung in
j?rag konnte sich dem tiefen Eindruck ent-
ziehen, den die dort vorgeführten slavi-
schen Stickereien hervorriefen; denn
nicht allein war deren Menge so über-
wältigend, daß sie auf alles Andere er-
drückend wirkten'), sondern auch hinsichtlich der künstleri-
schen Bedeutung einer zum Theil noch blühenden, zum
Theil allerdings absterbenden Bolkskunst konnten diese
Arbeiten den Anspruch eingehendster Beachtung erheben.

Die Thatsache, daß slavische Stickereien nicht selten
auch von unserer Damenwelt getragen werden, darf wohl
als Beweis dafür angeführt werden, daß diese Arbeiten
sich über die ersten Stufen einer Volkskunst erheben. Die
Sticktechnik gehört überall zu den ursprünglichsten Aenße-
rungen des Runsttriebes eines Volkes, aber sie hat viel-
leicht nirgends eine so weite Verbreitung gefunden, sie ist
vielleicht nirgends so eng mit den Trachten der Landleute
verwachsen, wie bei den Slaven. In Böhmen und Mähren
hat — wie uns berichtet wird — jedes Dorf seine eigene,
kunstgeübte Stickerin, überdies bringen Frauen und Mädchen
ja auch manche Männer ihre freie Zeit mit Sticken zu
und üben diese Runst in ganz erstaunlich geschickter Meise,
fast ohne Vorzeichnung; die Stickerin zeichnet sich nur die
Hauptmotive auf den Stoff. Gerade darin liegt ein ksanpt-
reiz derselben. Jedes Blümchen, jede Ranke, jedes Blatt
unterliegt bei Miederholung des Musters dem Wechsel,
sei es, daß die Phantasie mit Bewußtsein stets Nenes
hervorbringt, fei es daß unbeabsichtigte Ungleichheiten
durch eine gewisse Sorglosigkeit beim Arbeiten entstehen.
Die mit der Herrschaft der Maschine allmächtig gewor-
dene Gleichmacherei ist ja überhaupt der Fluch unsers
modernen Schaffens; mit ihr liegt unser Aunsthandwerk in
beständiger Fehde. Und gerade darum wirken alle volks-

') Außer den unzähligen Linzelcostümen, welche bei den Vor-
führungen der Bauernstuben, festlicher Aufzüge re. in Verwendung
waren, befanden sich in der Ausstellung ;99 verglaste Rahmen und
Aasten mit Stickereien und Spitzen, die insgesammt einen Flächenraum
von mindestens soo gm bedeckten.

78. Böhmische lsaube; Vrnament in schwarz und weißem Leinen, Grund
ungebleichte Leincnfäden im Anötchenstich. Gegend von Tnrnau.

x/4 der wirk!. Größe.

V

thümlichen, alle aus einem ursprünglichen, nicht künstlich
anerzogenen Empfinden heraus entstandenen Arbeiten so
erfrischend, weil man jedem Stück anfühlt, daß daran eine
lebendige Menschenseele mitgearbeitet hat; mag auch da

77. Aopfbinde (Vi'nek) aus der Gegend von Tnrnau (Rordostböhmeu);
dunkelrothe Seide auf Leinen.

ca. 1I4 der wirkt. Größe.

manches etwas derb m:d ungeschlacht ausfallen, so erfreuen
oft selbst solche Mängel genau so wie die unbeholfenen
Meinungsäußerungen eines Rindes. Das war es nament-
lich, was auch den in h)rag ausgestellten Stickereien und
Spitzen das Interesse aller unbefangenen Besucher sicherte.

Natürlich sind es in erster Linie Eostüntstücke,
welche bei der Anbringung von Stickereien in Betracht
kommen, und zwar vorwiegend solche der Frauenwelt; in
wie engen Grenzen — politisch — das Gebiet auch ein-
geschloffen ist, um dessen Erzeugnisse es sich hier handelt,
so große Manchfaltigkeit bieten doch dessen Eostüme.')
Wenngleich manche Grundzüge derselben gemäß derStamm-
verwandtschaft den einzelnen Volksgruppen gemeinsam an-
gehören, so finden sich doch im Einzelnen zahlreiche und
charakteristische Abweichungen; das geht so weit, daß
z. B. in dem verhältnißmäßig kleinen Gebiet von öster-
reichisch Schlesien allein fünferlei Rleiderschnitte Vorkommen;
ja in der an Mähren angrenzenden ungarischen Slovakei *)

*) Soweit meine eigenen Beobachtungen nicht ansreichten, stützen
sich die Angaben, namentlich in ihren ethnographischen Daten, auf
den illustrirtcn (tschechischen) Katalog; die Verdeutschung desselben —
soweit dies nöthig war — hatte Maler vesin zu übernehmen die
Freundlichkeit, wofür ich demselben meinen ausdrücklichen Dank aus-
spreche. Gleichen Dank verdienen auch die Herren Professoren
Aloncek und Aoula in Prag, Pavel B. Sochan in Sv. Martine
(Vber-Uugarn) und Jan P r o u s e k in Tnrnau, die mich vielfach mit
bildlichem Material unterstützten. — Taf. 26 ist dem Werk von Pro-
fessor Aoula: Auswahl böhmischer Nationalstickereien ans dem Napr-
stekfichen böhmischen Gewerbemuseum (Prag ;8J2, Verlag des Mu-
seums) — entnommen. Weiteres Material an Abbildungen enthält
auch „das böhmische Bauernhaus" von Jibrt und Tyrsova, Prag ;8J6,

— sowie »Vzory ceskoslovanskeho vysivane«, Bellmann, Prag. —
Aus einer Sammlung von 80 sehr schönen Photographien (Preis
SO Gulden) mit gegen ;50 Mustern — Slovenskf ndrodnic ornamenty
(slovakische Nationalornamente) von Pavel B.Sochan (im Selbstverlag)

— stammen die Abbildungen 83—85, 88, 89, 9;, 93 und gq, deren
Wiedergabe (tu starker Verkleinerung) bjerr Sochan freundlichst gestattete.

- Jur leichteren (Orientierung über die im folgenden vorkommenden
geographischen Namen diene umstehende Kartenskizze. D. verf.
 
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