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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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Gmelin, L.: Slavische Stickereien auf der Prager Ausstellung (1895)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0068

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besitzt sozusagen jedes Dorf sein eigenes Tostüm, wobei
dann bei den Frauentrachten die feineren Unterschiede an
den Schürzen, Aermeln, Miedern, bei den Männertrachten
in den Verschnürungen zu suchen sind.*) Diese Verhält-
nisse bezeichnen so recht das Ursprüngliche der Trachten:
wo in Folge gebirgiger Gestaltung des Landes oder aus
angeborener Seßhaftigkeit der Bevölkerung nur ein be-
scheidener Verkehr den Ideenaustausch vermittelt, da be-
wahrt auch die Tracht kleiner Bezirke einen eigenartigen,
auf dem Familienverband fußenden Lharakter.

Beim Frauencostüm kommen hier in Betracht das
größtentheils sichtbar bleibende Mberhemd, der Brustlatz

(das Mieder), die Jacke, der feingefältelte Rock, das Kopftuch
oder statt dessen die klaube; Rock, Jacke und Mieder be-
stehen aus einfarbigem, dunklem Tuch, die übrigen Stücke
zumeist aus Leinwand. In wenigen Gegenden, z. B. bei
Leitomischl, werden die Mieder auch aus Sammt her-
gestellt und mit Silber und Gold bestickt. Die Aus-
schmückung durch Stickerei (oder durch Spitzen) erstreckt
sich hauptsächlich auf die leinenen Stücke: das Mberhemd,
wo fpeciell Hals- und Aermelfchluß, Schultertheile und
Brustpartie meist verziert sind, — das quadratische Kopf*
tuch (Plena), dessen eine Ecke lang über den Rücken hinab
hängt, weshalb stets eine Gcke besonders reich mit
Stickerei bedacht wird, — die Haube, welche bisweilen
aus Sammt oder Seide besteht und meist der Tummel-
platz ausgesuchtester Stickfertigkeit ist. In manchen Ge-
genden, wie bei Tabor, treten an Stelle der Kopftücher
Hauben mit oder ohne Kopfbinden; letztere wurden früher
so über die Hauben gebunden, daß die Spitze des Mittel-
stücks in die Stirne kam; die flovakischen Kopfbinden er-

*) In der Gegend von Leitomischl unterscheidet man bei der
Männertracht städtische und Dorf-Anzüge.

V

82. Bordüre, cremefarben und schwarze Seide; slowakisch.

1ji der wirkl. Größe.

reichten oft eine solche Breite, daß sie von der Haube nur
den Boden frei ließen, der dann auch ganz besonders
reich verziert wurde. In der mährischen Slovakei tragen
die Frauen und Mütter auch die Haube sammt dem Kopf-
tuch darüber. Gin besonderes Schultertuch, das die Frauen
beivt ersten Kirchgang nach der Niederkunft umlegen,
findet sich bei den Hanaken. Dabei fehlen weder an
Haube noch Kopftüchern die theils genähten, theils ge-
klöppelten Spitzen; doch muß die nähere Betrachtung dieser
Arbeiten wegen Raummangels unterbleiben.

Die Ausschmückung der Männertracht bethätigt
sich vorwiegend an Kragen, Manchetten, Taschenpatten,
Nähten; ihre dekorativ höchste Stufe erreicht dieselbe in
den Verschnürungen der flovakischen Kleidungsstücke.

Außerhalb dem Gebiete des eigentlichen Gostüms
liegen dann die Tauftücher und Bettvorhänge; er-
stere werden in ganz außerordentlicher Größe ulid Schön-
heit namentlich in der Mährischen Walachei angetroffen,

82—85. Slowakische Schürzeneinsätze auf weißer Leinwand mit
schwarzer und weißer Seide gestickt. Iahrh.

ca. 1/8 der wirkl. Größe.

— die letzteren, welche als geheiligte Familienstücke sich
durch nrehrere Generationen vererben, verdanken einer
schönen und in den östlichen Landestheilen allgeniein ver-
breiteten Sitte ihr Dasein: nach Ankunft eines Sprößlings
schmücken sie sechs Wochen lang das Bett der Wöchnerin.
Diese schöne Sitte kennzeichnet so recht klar die hohe,
ethische Bedeutung, welche man im Familienkreise einem
solchen Greigniß beimißt. Daß man bei der Verzierung
 
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