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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 3
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Volbehr, Theodor: Englisch oder gothisch?
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Thalhofer, Nic.: Zur Gestaltungsgeschichte des Möbels, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0035

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23 -*

\

komme ich dazu — wenn ich nicht zufälliger Weise mit
meinen Gedanken und Interessen in einem besonderen
Abschnitt der Vergangenheit festwurzele —, wie komme
ich dazu, den Gegenstand in dem Tharakter einer be-
stimmten fernen Zeit decoriren zu lassen? Aber wiederum:
weshalb soll ich ihn ungeschmückt lassen, wenn meinem
Auge ein Schmuck Bedürfniß ist?

Es ist schlechterdings nicht einzusehen, weshalb nicht
der Besteller oder der Ansertiger den denkbar größesten
Spielraum zur Verschönerung der Objecte haben soll, die
neben ihrem besonderen Zweck auch die Aufgabe haben,
ein peim behaglich zu machen. Was zur Decoration
der Flächen verwandt wird, das ist eine ganz persönliche
Sache, vorausgesetzt, daß die Decoration nicht den natür-
lichen Zwecken des Gegenstandes widerspricht. Und je
persönlicher der Tharakter eines Möbels, eines Geräthes,
desto lieber ist es allen denjenigen, die Freude an persön-
licher Eigenart haben.

Daß die Decoration nicht nur aus der Natur oder
der Gegenwart ihre Motive zu holen braucht, ist selbst-
verständlich. Wir leben nicht nur in einem „naturwissen-
schaftlichen Zeitalter", sondern auch in einem „historischen
Zeitalter". Wir sind mit tausend Fäden an die Ver-
gangenheit gebunden, wir freuen uns an den Persönlich-
keiten ferner Zeit wie an denen der eigenen Zeit, wir
kennen und lieben die Meisterwerke verschwundener Epochen:
warum in aller Welt sollen wir nicht nutzen, was uns so
liebenswerth und interessant ist? Warum sollen wir dort,
wo wir an leichte Lebenslust und kokette Liebenswürdig-
keit erinnert sein wollen, nicht Rococomotive verwerthen?
Warum soll nicht Gothik, Renaissance, Japan oder was
immer uns angeregt hat, in immer neuen Anklängen
uns umgeben?

Man gebe dem ein-
zelnen Mens chen denMuth
wieder, seinen ganzen per-
sönlichen Geschmack in
seiner Umgebung zum
Ausdruck zu bringen, dann
gibt sich alles Andere von
selbst zum peile desAunst-
handwerks. Das Wort
„stilgerecht" müßte aus
dem Sprachschätze der
Producenten und Tonsu-
menten desAunslgewerbes
ausgemerzt werden; denn
es hat bisher nur Unfug
angerichtet; es hat die
Persönlichkeit, die Selb-
ständigkeit desGeschinacks
untergraben und den
Augen der kunstgewerb-
lichen Interessenten Scheu-
klappen angelegt. Aber
andererseits unterbinde
man das Interesse an der
Uunst der Vergangenheit
nicht, sondern lasse jedes
Bedürfniß unseres Volks-
charakters sich ausleben.

Dann darf man beruhigt
dieSchlagworte„gothisch"
und „englisch" zum alten Eisen werfen und an die Stelle
dieser Forderungen die naturgemäßere Forderung setzen: den
Bedürfnissen der eigenen Gegenwart entsprechend!

22. Skizze von L. Kloucek

(vgl. Abb. 2\)


Am KchMngtzkWM l>k§ WM.

Von V!ic. Thalhofer.

ie Naturgeschichte hat längst die „freie Be-
wegung" als eines der charakteristischen
Merkmale der höheren organischen Ge-
schöpfe, also der Thicre, festgestellt im
Gegensatz zur Gebundenheit an die Scholle
der Entstehung, wie sie bei der Pflanze
Gesetz ist. Aber die Freiheit der Bewegung ist auch beim
Thiere keine absolute, d. h. völlig willkürliche; auch sie
ist an natürliche Schranken gebunden. Nicht bloß, daß
diese Schranken dem Thiere durch den Bau seiner Be-
wegungsorgane und die Mittel, in welchen die Bewegung
vor sich geht, also Lust, Wasser und Festland, gezogen
sind, sondern auch in pinsicht auf seine ganze übrige
Natur, sowie auf den hauptsächlichen Zweck seiner Be-
wegung, die Ernährung, ist das Thier auf bestimmte, be-
grenzte Bezirke angewiesen. Es sind dies die Bezirke
seines natürlichen Vorkommens, innerhalb welcher die
Zu seiner Existenz nothwendigen Bedingungen erfüllt sind.

In einem, dem Verhältniß der menschlichen Natur zur
thierischen, proportionalen Maaße gilt nun das Analoge
auch für den Menschen. Auch seine Bewegung, obwohl
unendlich freier als die des Thieres, ist zuletzt innerhalb
gewisser Schranken gebannt, welche hier jedoch vielmehr
als der Ausfluß einer höheren, den Menschen in seiner
Weise weit über das Thier erhebenden Bestimmung uns
zu erscheinen haben. Denn die Anhänglichkeit an die
Scholle, der Drang nach Seßhaftigkeit, das „Wohnen am
eigenen perd" sind echte und untrügliche Zeichen des
Ueberganges eines Volkes aus dem Urzustand der Wild-
heit in das Stadium der Tivilisation.

Es ist gegenüber dieser Thatsache eine ziemlich müßige
Aufgabe, zu untersuchen, wie wohl dieser allererste Ueber-
gang von Wildheit in Tivilisation sich vollzogen haben
mag, mit andern Worten, w i e denn jenes ursprünglichste
„Wohnen" des Menschen eigentlich zu denken sei. pingegen
ist es von großer Wichtigkeit, sich darüber klar zu werden,


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