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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 3
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Thalhofer, Nic.: Zur Gestaltungsgeschichte des Möbels, [1]
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Publikationen von Tintenskizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0038

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Bestandteil des Sessels kann auch sür seine Gestaltung
zunächst keine anders Rücksicht bestimmend sein, als eben
die der Bequemlichkeit. Aber auch die Lehne, so ent-
schieden sie zunächst nur in zweckdienlicher Weise functionirt,

27. Skizze von <£. Kloucef (vgl. Abb. 20-

muß sich unsers Grachtens bis zu einem gewissen Grade
deni Haupttheil des Sessels, der Sitzfläche, unterordnen
und von ihr, als dem Mittelpunkte der ganzen tektoni-
schen Gonstruction, gleichsam in ihrer Function sichtbar
auslausen. Wir haben hierbei vornehmlich die Rücken-
lehne, als die wichtigere, im Auge; aber das Gleiche gilt
auch von den Armlehnen. Daß die geforderte Bezugnahme
der Lehne zur Sitzfläche am wenigsten bei Stühlen gothi-
schen Stils sich ausspricht — denn bei diesen ist die Lehne
mit den Hinteren Füßen in ein Ganzes verwachsen —, folgt
aus den Gonsequenzen der architektonischen Gonstructions-
weis? dieses Stils, für welchen die Rückenlehne sammt den
Beinen bloß tragende Ständer sind. — Dagegen entspricht
es vollends dem Geiste der Renaissance, diesen Gegensatz
s. in der Richtung von Lehne und Beinen (die Lehne geht
vom Sitze nach aufwärts, die Beine nach abwärts) und
2. in der Function beider (die Lehne hat einer seitlichen
Last, die Beine einer senkrechten, in der Richtung ihrer
Länge wirkenden Last zu widerstehen) kräftigst zum Aus-
druck zu bringen.

(Schluß folgt.)

Mölikalionkn von AnNsltzm.

Sachdem im ersten Hefte dieser Zeitschrift (Seite ;;) die
„Tintenskizzen" eine Besprechung erfahren, möchten wir
dieses Mal unsere jüngeren Künstler auf einige Pnbli-
cationen Hinweisen, welche geeignet sind, das Wesen der
mit deur Namen „Tintenskizzen" bezeichneten Aeußernngen
künstlerischer Phantasie zu erklären. Daß es sich dabei nicht um die
Tinte als das wesentliche Merkmal handelt, wurde schon im oben ge-
nannten Artikel bemerkt; wir haben es hier vielmehr mit dein „Ucber-
schuß der Phantasie über den Tagesbedarf" zu thun, der sich irgendwo
Luft machen mußte, und es mögen diese Zeilen hauptsächlich dahin
wirken, daß die jüngere Künstlerschaft allerwärts zu gleichem Thun
angeregt werde, nicht im Sinne selbständiger Publicationen, sondern
in der Weise, daß sie sich zur Verbreitung und Bekanntmachung ihrer
künstlerischen Gedanken der kunstgewerblichen Zeitschriften bediene.

Die Samenkörner, welche in solcher Weise ausgestreut werden,
fallen stets auf fruchtbaren Boden, und wenn es überhaupt keimfähige
Körner sind, so tragen sie reiche Früchte, nicht nur dem, in dessen
Garten sie aufgegangen sind, sondern auch dem, der sie aus-
gestreut hat.

Als <vtto Rieth, der Schöpfer des reizenden Galathea-Brunnens
in Stuttgart, im Jahre zsZ; seine ersten \20 „Architekturskizzen" der
Beffentlichkeit übergab, da erkannte Jeder, der sich um das Reichstags-
haus und dessen architektonische wie decorative Ausstattung bekümmerte,
sofort den inneren Zusammenhang zwischen diesem Bau und den spä-
teren Rieth'schen Skizzen, auch wenn der Herausgeber sein Werk nicht
ausdrücklich seinem „hochverehrten Meister, dem Architekten des deutschen
Reichstagshauses Paul Wallot" gewidmet hätte; das Werk war ein
sprechender Beweis für die ungemein anregende Wirkung, welche ein
großer Bau wie das Reichstagshaus und ein Meister wie Wallot auf die
betreffenden jungen Künstler ausübte und noch ausübt. Seither hat
diese erste Skizzenreihe ebenso wie die ;8I2 gefolgte eine zweite Auf-
lage erlebt, und vor Kurzem ist nun die dritte Folge erschienen unter
dem Titel: „Skizzen, architektonische und decorative Studien und Ent-
würfe von Gtto Rieth. Dritte Folge; 30 Blatt Handzeichnnngen
in Lichtdruck. Leipzig ;8IS, Baumgärtner's Buchhandlung."')

') Preis 20 Mk. — Hierzu sei bemerkt, daß auch die beiden ersten
Folgen in den Baumgärtner'schen Verlag übergegangen sind und daß

Wie in seinen früheren Werken, so erfreut Rieth auch in diesem
wieder vor Allem durch seine ungemein reiche Phantasie, die sich nicht in
die engen Fesseln einer bestimmten Stilrichtung zwängen läßt, sondern
von überallher das für den künstlerischen Zweck Brauchbarste nimmt,
woher es auch stammen inag, und durch innige Verschmelzung dieser
verschiedenen Urstosse ein Ganzes aus einem Guß zu schaffen weiß;
dabei bleibt kaum ein Gebiet baulich-decorativen Schaffens unberührt,
und so finden wir denn hier in bunter Reihe Motive für Rathhäuser,
Schlösser, Hallen, Portale, Brunnen, Treppen, Terrassen, Denkmäler,
Wappen, Embleme, Thürklopfer, Prunkgefäße rc. Herrscht auch der
Formenkreis der antiken Architektur weitaus vor, so sind doch Ver-
bindungen desselben mit anderen Stilarten sehr häufig: Rieth schaltet
damit wie ein Feldherr, der die verschiedenen Waffen stets da ein-
zusetzen weiß, wo sie den besten Erfolg versprechen, und er weist damit
gewissermaaßen einen weg für den Stil der Zukunft. Kein Stil ist
völlig von selbst entstanden, alle haben aus früheren Stilweisen geborgt
oder übernommen, was ihren Zwecken taugte; haben nicht auch die
deutschen Goldschmiede, die Buchbinder und Glasmacher Venedigs den
Renaissancestil durch Aufnahme orientalischer (Ornamentik bereichert,
und wie viel hat die europäische Keramik des und ;8. Jahrhunderts
von den chinesischen Porzellanen herübergenommen? Es kommt bei
solchem Vorgehen nur darauf an, daß Alles richtig verarbeitet, verdaut,
in's eigene Blut übergeführt wird. Dies versteht Rieth in ganz her-
vorragendem Maaße; die Wucht und der Ernst des romanischen Stils
liegen ihm ebenso nahe wie die lebensfrohe Renaissance, und er stebt
keinen Augenblick an, die breiten, niederen Massenverhältnisse der
romanischen Bauten mit den hochaufstrebenden, langen Linien der
Gothik zu verbinden, wo seine künstlerischen Zwecke dies verlangen —
immer aber erscheinen diese verschiedenartigen Elemente auf's Innigste
miteinander vereinigt. Wie in seinen Architekturen, so verliert er sich
auch in den decorative» Arbeiten nie in's Kleinliche; meist sind es nur
wenige, große Schmuckelemente, die er in trefflicher Linienführung zn-
sammenschweißt. Durch das Entgegenkommen der Verlagsbuchhand-
lung und des Autors sind wir in der Lage, auf Tafel \2 ein Blatt

die ursprünglich nur 20 Blatt umfassende zweite Folge bei der Neu-
auflage um ;o Blatt vermehrt worden ist, welche für die Besitzer
der ersten Auflage um den Preis von 4 Mk. zu beziehen sind.
 
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