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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 11
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Semper, Hans: Charakteristik des "Rubensstiles" (des belgischen Barocks) in der dekorativen Skulptur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0105

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Hsstterißlk des „Rubensfliles" (des ßelgiZen VsroW)

in dek dkLoraliven Otulplur.

Von Prof. Or. Hans Semper.

n einem früheren Aufsatzr) kündigte der
Verfasser seine Absicht an, das kirchliche
Polzinobiliar des \7. Jahrhunderts in
Belgien, welches den sogenannten Rubens-
stil in besonders reicher und anziehender
Ausbildung und Verwendung zeigt, einer
näheren Besprechung zu unterziehen. Nach einer Dar-
legung der historischen Bedingungen (so besonders der
endgültigen Unterwerfung Belgiens unter die Habsburger,
des Miedererstarkens der katholischen Airche, sowie der
vorausgegangenen Bilderstürme), welche mit dem neuen
Aufschwung der kirchlichen Architektur ganz besonders auch
die decorativen Ausstattungskünste begünstigten, traten wir
zunächst auf die Betrachtung einer eigenthümlichen Ueber-
gangsperiode in der belgischen Decoration am Ausgang
des f6. und am Anfang des j7. Jahrhunderts ein, in
welcher die Nachklänge der etwas trockenen Spätrenaissance
eines Pieter Toeck und Hans Vredeman mit klastisch
römischen Motiven und zugleich mit barocken Anfängen
vereinigt sind. Mährend wir in der gleichzeitigen Stein-
sculptur die classische Tendenz entschiedener hervortreten
sahen, ist jener Uebergangsstil besonders durch die Holz-
decoration vertreten und fand gewiffermaaßen feinen typi-
schen Vertreter in Urbein Taillebert aus Ppern, als dessen
Merk auch das auf Tafel <{\ abgebildete Thorgestühl aus
Nieuport anzusehen ist.

Unmittelbar an solche Uebergangssormen scheint sich
nun, wenn auch nur in der Holzdecoration, der sogenannte
Rubensstil angeschlossen zu haben, da wir wenigstens keine
Merke der Holzdecoration vom Anfang des j7. Jahr-
hunderts anzuführen wüßten, in denen sich jene reinclafsische
Richtung verkörpert hätte, wie sie Robert Tolyns de Nole
und Andere in Merken der decorativen Steinsculptur ver-
traten. Daß letztere sich zeitweise von dem Schnörkelkram
eines Vredeman vollständig freimachen und sich wieder
geradezu classisch-edlen Formen zuwenden konnte, mag
zum Theil daraus zu erklären sein, daß die aus der Holz-
und Metalltechnik gewiffermaaßen hervorgewachsenen Vrede-
man'schen Formen eben deshalb auch mehr für die Holz-
decoration geeignet und verwendbar waren, als für die
Steinsculptur.

Der „Rubensstil" verdankte gleichwohl aber auch sehr
wesentliche Anregungen, besonders hinsichtlich der römischen
Akanthusranke, die er wieder in volle Thren einsetzte, jener
classischen Richtung der Steinsculptur vom Anfang des
f7.Iahrh., welche ja selbst auf die Holzdecoration der Ueber-
gangszeit einen wenn auch beschränkten Einfluß ausübte.

') Jahrgang ;895, S. sz—66.

Der Rubensstil räumt, wie schon jene classische Vorperiode
der Steinsculptur, ebenfalls vollständig mit dem harten
Schnörkelwesen der letzten Hälfte des j6. Jahrhunderts
auf, schließt sich ebenfalls in vielen wichtigen Theilen
classisch-römischen und Hochrenaissance-Vorbildern an, die
er aber allerdings auch frei verwendet und mit mancher-
lei willkürlichen Formen der italienischen Spätrenaissance
vermischt, sowie in einem eigenthümlichen, aus malerische

cioiocxxiv

(29. Schelde-Thor in Antwerpen; nach Entwurf von p. p,
ausgeführt von CPuelltn ((62-p.

Mirkung und zugleich Weichheit, Fülle und Araft der
Formen ausgehenden Geiste verarbeitet und umgestaltet.
Dieser belgische Barockstil hat nichts Trocknes, Leeres,
Einförntiges, wie so oft der italienische, sondern seine
Pracht und Fülle ist stets durchdrungen vo,l innerem,
überquellendem Leben, weshalb er zur anziehendsten Gattung
feiner Art gehören dürfte, ebenso wie Rubens als Maler
die gleichzeitigen Maler Italiens an Unmittelbarkeit,
Lebensfrische und schöpferischer Araft weitaus übertrifft.
Obwohl von italienischen Elementen genährt, ist der
belgische Barockstil doch eine völlig eigne Schöpfung der

X

Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

J896. Heft U. (Bz.
 
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