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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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G, ...: Datirte byzantinische Purpurstoffe
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Hagen, L.: Die Textilindustrie auf der Berliner Gewerbeausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0075

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95. Byzantinischer Purpurstoff in Seide, angefertigt zwischen 975 und ;025 (Regiernngszcit der Kaiser KonstantinosVill. und Basileios II.).

Griginal im Besitz des Gewerbemusenms in Düsseldorf.

ca. V7 der wirkl. <^röße.

Grund purpurviolett, Löwen graugrün mit blauer und chokoladebrauner Zeichnung, Blattwerk und Innschrift schmntziggelb.

und verschiedene Umstände sprechen dafür, daß dasselbe aus der kaiser-
lichen Fabrik, dem Gynacceion, hervorgegangen. — Lin andrer datirter
byzantinischer Seidenstoff ruht in dein Schreine des hlg. Anno zu
Siegburg; er wurde im Jahre ;8S2 bei Geffnung des Schreines ge-
funden, aber wieder darin aufbewahrt. Es ist nach der Beschreibung
von Professor L. aus'm Iveerth ein violetter Seidenstoff mit sechs

großen Löwen und gelber Farbe und mit einer Inschrift: „Unter der
Regierung des Romanos und Lhristophoros, der allerchristlichsten
Herrscher". Romanos war am Dezember 920 und bald daraus
(April 92;) auch sein Sohn Lhristophoros zum Kaiser gekrönt worden;
letzterer starb bereits 9z;. Somit ist der Siegburger Stoff zwischen
920 und 93; gefertigt. G.

treicht man von der Textilindustrie der Berliner Gewerbo-
ausstellung die Bekleidungsindustrie weg, so bleibt herzlich
wenig übrig, woran sich auch nur der Schatten eines
ästhetischen Genusses knüpfen könnte. Die Stickerei, in
welcher doch das Können der textilen Techniken gipfeln
-soll, steht im Allgemeinen auf einem so niedrigen Niveau, wie kaum
ein anderer Zweig des Kunstgewcrbes. Fast nirgends erhebt man
sich über die Vorstellung des mechanischen Aneinanderreihens von
Stichen und, so wie ein Anlauf zu künstlerischer Lomposition genommen
wird, artet er meistens in eine Künstelei au?, die einem Hohn auf
alle Begriffe von Stil glcichkommt. Ulan sollte cs kaum für möglich
halten, daß nach Allem, was Jahrzehnte lang über eine sinnreiche
Flächenverzierung geschrieben und gesprochen worden ist, in Berlin
noch ein Sopha ausgestellt werden kann, das mit einer rein naturalisti-
schen Nadelmalerei von großen Mohnblumen bedeckt ist. Wären diese
Sachen wenigstens noch schlecht gestickt l Das ist aber gerade das
Traurige an ihrer ganzen Erscheinung, daß die mechanische Fertigkeit
daran eine geradezu beängstigende Vollendung erreicht hat. Hunderte
von Frauenhänden waren mit geradezu qualvoller Mühe thätig, um
diese meisterhaften Stiche aneinander zu reihen. Ls sind meistens die
gebildeten Proletarierinnen, wie der ältere Riehl sie genannt hat, die
solche Arbeiten ausführen. Sie haben ja Wasser und Seife brauchen
gelernt und ihre Hände nicht mit grober Arbeit verdorben. Das
moderne gesellschaftliche Leben hat keinen Platz für sie. So rächen
sie sich an der Gesellschaft, indem sie sclavisch geistlos arbeiten, weil
die gesunde bürgerliche Sitte in Deutschland durch die Formen franzö-
sischer Hofetiqnette verdrängt worden ist, weil wir auf gesellschaftlichem
Gebiete in einem Schnürmieder stecken, das auf gallisches, nicht auf
germanisches Empfinden zugeschnitten ist, liegt die Stickerei so sehr im
Argen — die Frauen der Gesellschaftswelt sind Puppen geworden, und
Puppen können natürlich nur automatisch arbeiten. Aus diesem
Grund liegt die Stickkunst so viel schlimmer darnieder, als die übrigen
kunstgewerblichen Techniken. Natürlich hat sic außerdem noch mit

denselben Schwierigkeiten, wie das gesammte Kunstgewcrbe, zu kämpfen.
Wer einigermaaßen in die technischen und geschäftlichen Schmierig-
keiten eingeweiht ist, mit denen die Kunststickerei in protestantischen
Gegenden vor Allein zu kämpfen hat, wird übrigens zugeben müssen,
daß wenigstens stellenweise Anläufe zum Besseren gemacht werden.
So ist z. B. die Fahne der Berliner Buchbinder-Innung aus dcnr
Atelier von Bessert-Nettelbeck als eine recht tüchtige Leistung zu be-
zeichnen. Leider hängt sie an einer metallenen Fahnenstange, deren
Krönung viel zu leicht gearbeitet ist, um dein Auge die Ueberzeugung
beizubriiigeii, daß sie wirklich vermag, das Gewicht der Fahne zu
tragen. Auch ein Antependinm dieser Firma, grün mit violett, zeigt
ein Randornament von gefälligem rhythmischein Schwung; es ist gut
gegliedert. Man kaiin allerdiiigs selbst für die Axplicationstechnik eine
größere Geschlossenheit der Uebergänge verlaiigen. Im Ganzeu ver-
mißt mail auch an den Erzeugnissen dieser Firma die echte Farben-
sreudigkeit und das seinentwickelte Gefühl für die Verbindung der
Farbenreize verschiedener Stoffe, welche doch zu den wesentlichen
Factoreii in der Stickerei zählt. Immerhin muß anerkannt werden,
daß sich hier welliger barbarische Elemente, weniger Verbildung,
weniger bloße Dressur, weniger unnöthiger Kraftaufwand, weniger
Künstelei und weniger vinausschießen über das Ziel fiiidet, als bei
den meisten übrigen Ausstellern. Bei diesen sieht man leider sehr viel
brutalen Naturalismus, uiid vor Allem herrscht noch immer der Be-
griff voll Schattirung, der sich ans der geschlosseneii Loinposition des
Staffelbildes heraus entwickelt hat. Man will nicht begreifen, daß bei
den Flächenverzierungen durch Stickerei die Schattirung immer nur als
Modulation der Zeichnung auftreten darf. Ls herrscht auch noch
bedenkliche Unklarheit über die Anwendung voll Subordination oder
Lontrastwirkung der Farbe. Meistens werden beide Systeme in
gedaiikenloser Mischung verwendet, vor Allem fehlt auch noch der
Sinn für die Schwere der Farbeil, daher kommen so viele Härten vor,
und cs gibt fortwährend Stelleil, die „hcrausfallen", wie zerbröckelte
Mosaikstücke.

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