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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 2
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Riehl, Berthold: Der Alterthümler und das moderne Kunstgewerbe, [2]
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Gitterthore
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0031

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19 -»

•)-

gemäße Folge jenes Schrittes, den man mit der Auf-
nahme der Renaissance gemacht hatte. Mochte man sich
auch zuerst noch so sehr gerade von Seiten der Renaissance-
Verehrer gegen diese Perioden als Zeiten des Verfalls richten,
so mußte man doch, besonders in der Aunst des pauses und
des Palastes, bald wenigstens ihre bedeutenden praktischen
Vorzüge erkennen; mußte einsehen, daß sie, je näher sie
unserer Zeit liegen, desto mehr unseren Bedürfnissen ent-
sprechen, die sich ja durch sie allmählich herausbildeten.
Aber nicht nur ein praktischer, sondern auch ein rein
künstlerischer Zug begründet die interessante Thatsache,
daß wir in etwa zwei Jahrzehnten den Wechsel des Ge-
schmackes in der gleichen Entwicklung wie in den beiden
vorausgehenden Jahrhunderten durchliefen. Von der be-
scheidenen, feinen Aunst der Frührenaissance lockte es eben
auch jetzt wieder zu der energischen, malerisch reichen, freilich
oft auch etwas schwerfälligen Art des Barock fortzu-
schreiten, für deren glänzende Decoration unsere Residenz
und das National-Museum so prächtige Beispiele bieten,
und ebenso erklärlich war darnach der Umschwung zu den
Hellen, lichten Räumen des Rococo mit ihren picanten
Farbeneffecten und'dem graciöfen, phantasievollen Formen-
spiel, worauf wieder die Freude am einfach Praktischen
und damit auch die Neigung zu den strengen, nüchternen
Formen des Elasstcismus folgte.

Mit dem Elasstcismus aber treten wir in das
ist. Jahrhundert ein, das man in der Aunstgeschichte mit
ganz besonderen: Recht das historische nennen mag, wenn
man beobachtet, wie seine Aunst, von der Antike bis zum
Rococo, auf die älteren Perioden zurückgriff, um von jeder
zu lernen. Als ein Resultat dieses Lernens während eines
Jahrhunderts voll Fleiß und ernster Arbeit dürfen wir
es bezeichnen, daß sich eine selbständige, ganz unseren
Bedürfnissen entsprechende Aunst des paufes ausbildete.
Wie viel wir dabei dem Alterthümler, der so wichtige,
erste Anregungen zu dieser ganzen Bewegung gab, zu
danken haben, suchte ich oben anzudeuten, ebenso aber
auch, daß die Zeit lange vorüber, in der ihm eine so
bedeutende Rolle zusallen konnte.

An die Stelle der Schwärmerei des Alterthümlers
für die verschiedenen Perioden alter Aunst trat die wissen-
schaftliche Forschung, die, indem sie den geschichtlichen
Gang unserer Aunst darstellt, den Lebensverhältnissen der
einzelnen Perioden nachgeht, uns klar deren Vorzüge,
aber auch deren Schwächen und Grenzen zeigt. Dadurch
aber sollen wir, was die kritiklose Schwärmerei für Altes
selten znläßt, auch ein gerechtes Urtheil für die Verdienste

und Fortschritte der Gegenwart gewinnen, das uns den
rechten Muth zu selbstbewußtem, frohein Schaffen verleiht.
Gerade je mehr wir die alte Aunst studiren, desto mehr
werden wir erkennen, wie viel wir hier noch lernen
können, desto deutlicher aber, glaube ich, auch einsehen,
daß nicht ängstliches Nachahmen, sondern freies, selb-
ständiges Schaffen das Ziel unseres Strebens fein muß.
Unsere Lebensverhältnisse sind im Verlauf
des fst. Jahrhunderts so ganz andere gewor-
den, als es die der früheren Periode waren,
daß vor Allem das Aunst gewerb e, das überall so
innige Fühlung mit den: praktischen Leben hat, in keiner
der früheren Perioden eine völlig zweckent-
sprech en de Lösung s ein er Aufg a b en finde n ka nn;
es muß also frei, es muß neu gestalten, und diese
Forderung zieht sich, mehr als man auf den ersten Blick
glaubt, durch Alles hindurch.

Das Verhältniß speciell unseres Aunstgewerbes zur
alten Aunst wird im Großen und Ganzen, wie das schon
die zurückgelegte Entwicklung lehrt, ein immer freieres
werden; wir sollen uns nicht ängstlich an jene klammern,
sie nicht beständig copiren, aber stets sollen
wir an ihr lernen, durch sie Anregung ge-
winnen. Naturgemäß wird das Beste unter den Werken
der Vorzeit die Grundlage unserer künstlerischen Anschau-
ung und unsere trefflichste Schule bilden. Unsere künst-
lerische Vergangenheit ist so groß und reich, daß wir sie,
sagen wir „Gott sei Dank", nicht vergessen, nicht ver-
leugnen können, und nicht selten spricht sich ihr Einfluß
gerade da recht fühlbar aus, wo wir wähnen, ihm sorg-
fältig aus dem Weg gegangen zu fein.

Zn eine wirkliche Loncurrenz zum modernen Auust-
gewerbe wird der Alterthümler immer weniger treten
können; es verhindert dies schon die zunehmende Selten-
heit und die wachsende Nachfrage nach guten Werken
alter Aunst; es wird dies aber noch weit mehr eine
möglichst freie, reiche und selbständige Entwicklung unseres
Aunstgewerbes verhindern.

Wir scheiden von dein Alterthümler nicht als von
einem Mann, zu dem wir uns in heftigen Widerspruch
setzen müssen, sondern als von einem alten Freunde, dem
wir viel Dank schulden, von dem wir auch weiterhin noch
viel lernen wollen. Der Sieg ist dem modernen Aunst-
gewerbe gewiß, hoffen wir, daß es ihn dazu nützt, an
Stelle des „guten Alten", an dem es stets lernen, das es
stets ehren möge, in frohem Schaffen ein „besseres Neues"
zu setzen.


MMm.

ie auf Seite ;s, und 20 dargestellten Gitterthore sind fo
recht geeignet, die technischen und ornamentalen Unter-
schiede zwischen gothischen und Renaissancegittern zu er-
läutern. Lin erster Unterschied liegt schon in den Lisen-
stäben, die bei dem gothischen Gitter dünn und ungleich-
mäßig, bei den anderen völlig rund sind; weitere technische Unterschiede
bestehen ferner in der Art der Verbindung und Verspannung der Lisen-
theile unter sich. Bei dem gothischen Gitter spielen die Nieten

eine sehr bedeutende Rolle; Bindungen kommen säst gar nicht vor;
die Versteifung wird innerhalb der Ranken säst nur mittels Umwicke-
lung derselben durch Blattenden und Aehnliches, sowie durch Ver-
flechtung' bewerkstelligt. Bei den Renaissancegittern tritt die Bindung
an Stelle der Nietung, die Durchsteckung an Stelle der bloßen Ver-
flechtung — zweifellos ein bedeutender technischer Fortschritt; dieser
schwierigeren, aber solideren Technik verdanken die Renaissancegitter
ihre meist treffliche Erhaltung, während die gothischen, weniger gut
 
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