Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Jessen, Peter: Wohin treiben wir?
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0015

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ein Mal, sondern mehrere Male. Die Mode und die
Toncurrenz wollen Neues, Ueberraschendes; wer nicht
mitthut, muß entweder ein ganz Starker sein, oder er
wird von den behenderen Mitläufern stodt getreten; sich
auszureifen wird nur Wenigen gegönnt.

Das deutsche Aunstgewerbe ist nicht stark genug ge-
wesen, sich diesem verderblichen Zuge unserer Zeit zu
widersetzen. War es die Schmiegsamkeit des deutschen
Wesens, war es die Lust an künstlerischen Entdeckungen,
war es nervöse Unstetigkeit, die selbst einige Führer unse-
rer jungen Renaissance schon nach wenigen Zähren zum
Formenkreis der Barockkunst führte? Ein besonderes
Verhängniß ffür unsere Entwickelung ist es ja auch ge-
wesen, daß der hochherzigste und thatkräftigste Auftrag-
geber des bayerischen Aunstgewerbes, der tiefbetrauerte
Aönig, durch eine seltsame Anlage gerade damals zur
französischen Aunst geführt wurde und die fremden Formen
in schädlicher ksast zu übernehmen zwang. Eindringender
haben gewisse Berliner Meister den freieren Schwung
barocker Aunst für die decorative Malerei, die Plastik,
das Schmiedeeisen, das Tafelsilber, das Porzellan zu ver-
arbeiten gewußt und dabei Aräfte ausgelöst, die auch
über .diese Geschmacksrichtung hinaus für unsere Ent-
wickelung ein Gewinn bleiben. Die Anerkennung, die
das deutsche Aunstgewerbe in Ehicago gefunden hat, ver-
danken wir zum guten Theile auch den Leistungen dieser
Tendenz. Aber daß das Barock und das Rococo sich
nicht dazu eigneten, unserem Aunsthandwerk, zumal der
Tischlerei, eine feste, beständige Grundlage zu geben,
wurde bald genug klar. Es war kein Wunder, daß jetzt
findige Aöpfe geschwind die Losung »Eouis Seize« aus-
gaben, ohne zu wissen oder zu bedenken, daß gerade diese
an sich so reizvolle Abart des pariser Llassicismus das
echteste Aind des französischen Nationalgeschmacks ist, der
vorwiegend auf das Strenge, Anappe, Elegante gerichtet
ist, während die deutsche Aunst sich zu allen gesunden
Zeiten durch Fülle, Arast jund breites Behagen kenn-
zeichnet. Wir haben gar keine Aussicht, in dem engen
und 'oft dürftigen Rahmen dieser pariser Sonderrichtung
uns irgend einleben oder ausleben zu können. Als dann
nicht nur die führerlose Industrie und modesüchtige Bankiers-
kreise, sondern selbst beamtete Pfleger des deutschen Aunst-
gewerbes auf das »Empire« verfielen, den kümmerlichen
Abhub von der einst reichbesetzten Tafel der Pariser Aunst,
da ist es auch den Vertrauensseligen klar geworden, daß
es so nicht weiter gehe im deutschen Aunstgewerbe, daß
unsere Arast zu zerrinnen, unser guter Ruf zu vergehen
drohe, daß wir der Sammlung und der Einkehr bedürfen
und neuer Säfte und Aräfte.

Es liegt ja auf der pand, wo das Pauptübel zu
suchen ist. Die Nachahmung^ der alten Stile ist eine

sehr gute Schule ,sür die Technik gewesen und hat unser
Auge und unser Verständniß geschärft. Sie war ein
Durchgang, den wir uns nicht hinwegdenken können noch
möchten; denn wer kann sagen, wo wir ohne diese Schule
der alten Meister heute ständenj? Aber es ist auch das
eingetreten, wovor die einsichtigen Theoretiker und Freunde
der alten Aunst schon früh gewarnt haben: wir haben
oft über den Alten uns selbst vergessen, wir haben zu
wenig geprüft und zu viel copirt, wir haben die Speisen

aufgewärmt, ohne selbst für uns zu
kochen, wir haben unsere Phantasie
in behagliche Träume gelullt, statt
sie in's drängende Leben unserer
Zeit zu stellen. Darum fühlen wir
uns plötzlich alt, und darum hat
die junge Aunst der Amerikaner so
manches überschwängliche Lob ge-
erntet.

Sollen wir wirklich wünschen,
daß eine große Sündfluth alle Ge-
werbemufeen und Vorbildersamm-
lungen hinwegschwemme? Wenn
wir unserem Volke in seiner heu-
tigen künstlerischen Anlage die natür-
liche Sicherheit des Geschmacks zu-
trauten, dis aus dem Nichts das
Richtige zu schaffen wüßte, so könnte
man sich einen solchen Gewaltstreich
austräumen. Aber noch sind wir
nicht so weit, daß wir die alten
Meister entbehren könnten, selbst
wenn vielleicht ihre Formen, so
doch sicher nicht die Lehren, die sie
geben. DerEinklang zwischenZweck,
Form, Stoff und Arbeitsart, der
uns an den besten Werken der alten
Aunst immer wieder überrascht, das
sichere Gefühl der Maaßstäbe und
derVertheilung im Raum, die innere
Tonsequenz der einzelnen Formen-
kreise, das Alles bildet eine Schule,
die auch die Amerikaner zum großen
Schaden des europäischen Aunst-
marktes nicht für überflüssig halten.
Nur dürfen die Museen keine
Material-oderMotivensammlungen
sein, sondern Lehr-
saminlungen ; nicht
das Viele, sondern
das Gute soll darin
herrschen; man wird
die Bestände nicht nur
jetzt, sondern dauernd
auf diesen lehrhaften
Werth hin zu sichten
und zu prüfen haben
und das nur historisch
Wichtige, das an sich
volles Interesse ver-
dient, getrennt ver-
wahren undaufstellen.

Auch in der Arbeit
unserer Werkstätten
kann uns der Umsturz
nicht fruchten, so
wenig wie ein neuer
alter „Stil" oder eine
neue, fremdländische
Mode. Was wir

3. Bronze-Kandelaber aus
S. Arnbrogio-Geuua.
j Zeichnung von Architekt
(D. Hammelmeyer, Köln.

ltzöhe 2,U m.)
 
Annotationen