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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 1
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Jessen, Peter: Wohin treiben wir?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0016

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wirklich erlernt und uns zu eigen gemacht haben, sollen wir
nicht fortwerfen, sondern vertiefen und weiterbilden. Durch
ganz Deutschland hin hat das Schreinerhandwerk an den
Eonstructionen und Formen der Renaissance eine gemein-
same, ernste Zucht durchgemacht und ein (Lapital von Rönnen
und Wissen gesammelt, das sich nicht so schnell ersetzen
läßt. Wohl aber können und müssen wir versuchen, dieses
(Lapital zu nutzen und, wo es Noth thut, umzuprägen.

Der Weg ist ja schon von vielen Seiten her gewiesen
worden. Machen wir uns von dem Zwang der über-
lieferten Formen zunächst dadurch frei, daß wir bei jeder
decorativen Aufgabe zuerst nach den: Zweck, nach den

theils Prunkstücke waren, die nur das Reichste ihrer Zeit
darstellen. Ihre Luxusformen haben wir direct in's All-
tagsleben übernommen. Darum wird es uns so schwer,
vom Vielen zum Einfachen durchzudringen; wir hängen
noch ani Bunten und am Aleinen; daß mit weniger Auf-
wand meist mehr erreicht wird, will uns noch gar nicht
in den Kopf.

Auch war ja gerade der Sinn für Maaßstäbe nicht
die starke Seite der alten deutschen Arbeiten. Die deutsche
Renaissance war aus den Werkstuben der Goldschmiede
erwachsen, nicht aus der monumentalen Aunst. Auch ihr
Zdsal war mehr das Viele, als das Große. Unser Auge

Entwurf 311 einem geschnitzten Faßboden; von I. Daschner, München.

Ansprüchen des Gebrauches fragen; was wir zieren, fei
zuerst praktisch construirt und aufgebaut; jede künstlerische
Zuthat, die die Nutzbarkeit beeinträchtigt, ist votn Uebel.
Das ist so einfach und wird doch noch so oft mißachtet.
Zerbrechliche Schnörkel am bürgerlichen Gebrauchsmöbel,
unhandliche penkel an den Gefäßen, Griffe, die man nicht
fassen, Uttd Schriften, die nran nicht lesen kann, das Alles
find Dinge, die wir trotz aller guten Lehren uns erst zum
Theil abgewöhnt haben.

Wer an der zweckmäßigen Gestaltung Freude hat,
wird leichter dazu kommen, mit den Schmuckformen spar-
samer zu sein. Wir haben uns berauscht am Alten und
dabei des Guten zu viel gethan. Man hat nicht genug
beachtet, daß die alten Muster in unseren Museen großen

an große Verhältnisse zu gewöhnen, ist eine Hauptaufgabe
unserer Zeit. Es gilt, unsere Aräfte zusammenzufassen,
statt sie zu zersplittern; von den Alten können wir noch
immer lernen, wie sie am Gebäude die künstlerischen
Mittel zu concentriren wußten, auf ein schönes Portal,
auf einen lustigen Erker, auf ein Wappen oder Bildwerk,
die sich von der ruhigen Fläche der Farads doppelt wirksam
abhoben; wer mit demselben Gelds jedes Fensterchen, alle
Gesimse verzieren will, kann nirgends etwas Großes leisten.
Der Widerhall, den Meister Wallot's Aunst bei allen
frisch Empfindenden geweckt hat, ruht großentheils auf
dieser Araft der Eoncentration.

Dann wird man auch den Werth der ruhigen, un-
verzierten Fläche wieder zu schätzen wissen. Pier kommt
 
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