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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 1
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Jessen, Peter: Wohin treiben wir?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0018

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Können es diejenigen, die sich heute berufsmäßig mit
dem Kunstgewerbe beschäftigen? Sie sind aufgewachsen
in dem bequemen Vorrathskreis der alten Formen. 5ie
sind großtentheils erzogen in den Kunstgewerbeschulen,
deren Leiter heute bitter klagen, daß dort für den pand-
werker zu viel, für den Künstler zu wenig Zeit und Lehre
aufgewendet werden kann. Wir haben einen tüchtigen
Stamm von Zeichnern und Modelleuren in unseren Fabriken
und Werkstätten; sie werden alle Anregungen gewandt ver-
werthen, so gut wie sie sich mit oft erstaunlicher Virtuosität
in die wechselnden Modeformen älterer Zeiten gefunden
haben. Aber die Anregung stnuß von Außen kommen.

fassendem Können,- an der Wiedergeburt der Zierkünste
und des Ornaments gearbeitet, lange verachtet, oft belacht,
endlich in ihrem Vaterland und darüber hinaus mit
höchsten Ehren überhäuft. Wir haben keinen Grund, zu
glauben, daß es bei uns an Künstlern fehle, die Geist
und Begabung für diese Arbeit -mitbrächten. Aber es
scheint schwer, ihr Znteresse für das Kunstgewerbe nach-
haltig anzuspannen. Unsere junge Generation hat noch
zu viel mit sich selber zu thun. Noch bringt ja die junge
deutsche Kunst wenig Fertiges zu Stande neben den vielen
Versuchen; noch ist unsere Stellung zur Natur nicht ge-
wonnen, noch tasten wir im Eolorit, in der Lomposition,

6. Entwurf zu einem geschnitzten Faßboden; von I. L> a s ch n e r, München.

Der Beginn der deutschen Bewegung, die 70er Jahre
können uns einen Fingerzeig geben. Die Münchener Aus-
stellung von f876 war nicht eine Ausstellung für Kunst-
gewerbe, sondern für Kunst und Kunstgewerbe. Zn den-
selben Sälen hingen die besten Werke deutscher Malerei
und standen die Möbel und Pokale, zu denen dieselben
Meister oder ihre nächsten Freunde und Genossen die
Zeichnungen geliefert hatten. Kunst und Kunstgewerbe
lagen in derselben pand; was der Künstler dem Hand-
werker bot, gab dieser ihm zurück.

Nicht anders ist die englische Kunstindustrie erwachsen,
die heute ihren Siegeszug durch Frankreich und Deutsch-
land geht. Ein Menschenalter lang haben dort Künstler
ersten Ranges, Meister von tiefem Verständniß und um-

in der Wahl der Stoffe. Bis jetzt sind die Meister der
Phantasie, sind Böcklin, Klinger, Thoma, Stuck und ihres-
gleichen die Einzigen, aus deren Werken hie und da ein
neuer, mächtiger Accord aufdringt, der uns für decorative
Ziele den Weg weisen kann. Noch hat die Nation diese
Kräfte für ihre monumentalen Aufgaben nicht verwerthet;
noch wissen unsere Kunstindustrien mit der neuen Kunst
so gut wie nichts anzufangen; noch schüttelt das Publikum
die Kopfe und freut sich, daA wenigstens im lieben Kunst-
gewerbe noch die Landsknechte, die Rococo-Putten, die
Gnomen ihre Gemeinplätze vortragen.

Was ist zu thun, um die Künstler von heute zur
Mitarbeit 'auf den neuen Wegen des Kunstgewerbes zu
gewinnen? Ein großes Stück werden sie selber aus

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