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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 1
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Riehl, Berthold: Der Alterthümler und das moderne Kunstgewerbe, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0022

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Mappen in Ordnung zu halten, ist ebenso schwierig, wie
aus dem tiefen, alten Schrank Bücher hervorzuholen. Vor
Allem aber wird das matte Licht getadelt: so behaglich
und traulich es sei, so tauge es hier nicht; denn gerade im
Gegentheil sei volles, Helles Licht, das den ganzen Raum
möglichst gleichmäßig erleuchte, eine Hauptforderung für
ein brauchbares Studirzimmer, da das Studium der Stiche
und Photographien, alter Schriften und schlecht gedruckter
Bücher an sich schon übermäßige Forderungen an unsere
Augen stelle. Unsere Art, wissenschaftlich zu arbeiten, ist
eben eine andere geworden nicht nur als vor q-00 Jahren,
wo solch ein Studirzimnrer allen billigen Forderungen völlig
entsprach, sondern für sehr viele Zweige der Wissenschaft
sogar eine wesentlich andere als vor einem Menschenalter,
wodurch wir eben, sofern es wirklich zweckentsprechend sein
soll, auch eines anderen Studirzimmers bedürfen.

9. tiofparthie; Tintenskizze von Architekt p. pfanit, München.

Auch an denr Schlafzimmer sind manche Aussetzungen
zu machen, obgleich gerne zugegeben wird, daß die Möbel
in ihrer Art schön, daß sie namentlich sehr interessante,
werthvolle Alterthümer sind. Als Mann der Hygiene aber
wünscht der Herr Nachbar gerade hier einen großen, lustigen
Raum, und völlig widersinnig scheint ihm das Abschließen
des Bettes durch die hohen Holzwände und die schweren
Vorhänge. Die lange Truhe hält er für ein höchst un-
praktisches Möbel, schon weil sie so schwer zu öffnen ist,
und er meint, ein Waschtisch mit recht großen Porzellan-
schüsseln, ein Nachttisch, Spiegelschrank und eine Toilette
seien doch gar bequeme und nützliche Gegenstände, auch
wenn sie das fö. Jahrhundert noch nicht gekannt hat.

Durch die beiden Zimmer wird, nach der Ansicht des
kritischen Nachbarn, so hübsch sie malerisch wirken, so sehr
man sich an den prächtigen, alten Stücken im Einzelnen
immer wieder freuen wird, doch nur. der Beweis erbracht, daß
eine mittelalterliche Einrichtung für uns nicht mehr paffen
will, weil unsere Bedürfnisse wesentlich andere sind. Die
mittelalterliche Aunst kann daher das maßgebende Vorbild

für die Einrichtung unseres Hauses nicht geben, wohl aber
kann sie durch die mannigfachen feinen Aunstwerke, die
namentlich gegen das Ende dieser Periode für das Schloß
und das reiche Bürgerhaus entstanden, unserer Aunst des
Hauses eine Fülle der schönsten Anregungen im Einzelnen
bieten. Selten vereinigte in einem Pause des Z3. Jahr-
hunderts ein Gemach so viel erlesene Stücke, wie die beiden
Zimmer unseres Alterthümlers, gleichwohl aber sagen sie
uns, wenn wir aus dem Schlafzimmer in die mit Aunst-
werken überladene Hauskapelle blicken, daß die Aunst des
Mittelalters vor Allen: doch eine kirchliche war, daß die
des Hauses erst gegen das Ende der Periode unter dem
Schutze jener sich etwas bedeutender und freier zu entfalten
begann.

Der Schritt des Alterthümlers vom Mittelalter zur
Renaissance, den er mit der Einrichtung des Speisezimmers
machte, findet daher die volle Billigung seines Freundes;
denn jedenfalls war diese Periode, welche die Thätigkeit
der Aunst auf weit größere Gebiete ausdehnte, die Aunst
des Hauses selbständiger entwickelte, mehr zum Vorbild
für unser Schaffen auf diesen Gebieten geeignet. Aber
trotzdem fehlt es auch in dem Speisezimmer keineswegs
an Meinungsverschiedenheiten. Der Alterthümler ist beson-
ders stolz, daß sich an der alten Vertäfelung des Zimmers
kein modernes Stück findet; um das zu erreichen, gab er,
womit fein Freund nicht einverstanden ist, dem Zimmer
dieselbe unregelmäßige, keineswegs hübsche Form, welche
die Stube des alten Herrenhauses in Tyrol hatte. Vor
Allem aber regt sich gerade in diesem Raum „der Aritiker";
er findet, daß die Möbel so verschiedener Stilschattirungen
doch nicht recht zusammenpassen; er spricht, was den Alter-
thümler sehr peinlich berührt, von unrichtigen Ergänzun-
gen, ja zuweilen gar von Imitationen, besonders bei der
werthvollen Sammlung alter Arüge, deren Besitz ihm
übrigens gleich der Gläsersammlung schon wegen des Ab-
ftaubens, vor Allem aber wegen der Zerbrechlichkeit als
ein sehr zweifelhaftes Vergnügen erscheint. All' das hört
unser Alterthümler noch ruhig und gelassen an, er gehört
zu den seltenen Leuten, die auch eine andere Meinung
gelten lassen. Zu einem ernsten Zwiespalt aber führte es
beinahe, als ihm eines Tages fein Freund auseinander-
setzte, daß es für die Willkür solch alterthümlicher Ein-
richtungen kein besseres Beispiel gebe als das vielgepriesene
Buffet; denn er habe es jetzt unzweifelhaft festgestellt, daß
dasselbe in seiner Zugend eine Bettstatt gewesen und erst
durch seinen vorletzten Besitzer, einen geschickten Architekten,
unter Zuhülfenahme von Details anderer alter Möbel in
ein Buffet verwandelt worden fei.

Macht der Nachbar der Dame des Hauses einen
längeren Besuch, so pflegt er sich in das Rococozimmer
einen Stuhl aus dem anstoßenden Eßzimmer zu holen,
da er es ängstlich vermeidet, sich aus die zierlichen Rococo-
stühle zu setzen. Wie leicht bricht eine der seinen Ver-
zierungen an den morschen Stühlen, .ober kommt ein Riß
in die kostbaren, alten Ueberzüge — und welch ein Schmerz
ist das für den Besitzer I Trotz aller Bewunderung der
eleganten Möbel und der originalen Ueberzüge derselben,
der netten Nippse und der hübschen Rahmen ist daher
der kritische Nachbar auch mit diesem Zimmer nicht ganz
einverstanden. Er meint, die Stühle seien in erster Linie
 
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