Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Thalhofer, Nic.: Zur Gestaltungsgeschichte des Möbels, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0036

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nach welchem Grundsätze und
allgemeinem Bedürfnisse bei der
Errichtung der menschlichen
Mohnhütte verfahren worden
sein mag; — eine Frage, welche
allerdings in der Vorstellung
jeder hochentwickelten Zeit keinen
rechten Platz findet, die aber dem
Anfang der Lulturentwicklung
gegenüber ihre volle Berechtigung
hat, ja noch mehr als dies, an
jenem Anfänge sogar nothwendig
aufgeworfen sein mußte. Denn
damals hatte noch nicht, wie
heute, Jahrhunderte langer Ge-
brauch der mannigfaltigsten Ge-
räthschaften es überflüssig ge-
macht, über deren Form und
eigentlichen, ursprünglichen Zweck
nachzudenken.

Mir allerdings müssen uns
in ein gewifiermaaßen absicht-
liches Erstaunen über sonst uns
eigentlich „Selbstverständliches"
versetzen, wenn wir uns die Frage
vorlegen, aus welchem Grunde
gewisse Typen, z. B. unseres Möbelwesens, in ihrer Eigen-
art entstanden sind und welchem allgemeinen menschlichen
Zweck, welcher culturellen Zdee sie zuletzt entsprungen sind.

Die technische Form jedwedes Gebrauchsgegenstandes
richtet sich zunächst und vor Allem nach der Art seiner
Handhabung durch den Menschen. Dieser selbst aber ist
unmittelbar abhängig von der menschlichen Gestalt und
ihren Bewegungsgesetzen. Ist doch in diesem Sinne jeder
Gebrauchsgegenstand dazu geschaffen, den Millen des
Menschen in geeigneter Meise zu unterstützen — gleich-
giltig vorerst, welchen bestimmten Zweck er verfolgt und
also auch, ob er eine erhöhte Thätigkeit oder vielleicht
das gerade Gegentheil hievon, eine erhöhte Ruhe, herbei-
zuführen strebt. Zn ersterer Beziehung nun wird uns
jedes Werkzeug, insbesondere aber die Angriffswaffe als
ein zutreffendes Beispiel der Unterstützung des mensch-
lichen Willens gleichsam über die natürlichen Grenzen
des Leibes hinaus erscheinen, und die völlige Zweck-
angemessenheit jedes solchen Erzeugnisses das bei seiner
Gestaltung verfolgte Princip unmittelbar vor Augen führen.

23. Skizze von <£. Aloucek

(vgl. Abb. 2\).

Weit weniger drastisch, aber gleichwohl ganz unzwei-
deutig offenbaren sich solche Gebrauchserzeugnisse, welche,
anstatt der menschlichen Thätigkeit, der menschlichen Ruhe
zu dienen bestimmt sind, jener Ruhe nämlich, welche uns
als Folge fortgeschrittener Bildung eines Volkes und als
sicheres Symptom erhöhter geistiger Arbeit zu erscheinen
hat, — jener „Ruhe", wie wir sie mit der Vorstellung
von Seßhaftigkeit in Verbindung bringen und wie sie uns
als Merkmal eines civilifirten Volkes gilt im Gegensatz
zu der rastlosen Bewegung wilder Nomadenstämme. Die
primitivste Form des Möbels, welches den Zweck
hat, den Menschen in seinem Wohnbedürfnisse zu unter-
stützen, ist die auf der Oberfläche des Fußbodens aus-
gebreitete Decke, welche bestimmt ist, die aufsteigende
Feuchtigkeit und Rühle der Erde abzuhalten, und somit als
die Urform des Lagers anzusehen ist. Mit dem gesteigerten
Bequemlichkeitsbedürfnisse erst kommen dann der Reihe
nach noch andere Stücke hinzu; zunächst das Ropfkiffen,
mit der ausgesprochenen Bestinunung, das Ueberströmen
des Blutes aus dem menschlichen Gehirn gegen den Rörper
zu, wie es im Schlafe stattfindet, zu fördern. Erst das
Ropfkiffen verleiht den: Lager den Ausdruck jener höheren
Bestimmung, welcher dasselbe als ein menschlichen Zwecken
gewidmetes Gerätst« kennzeichnet. Die ohne Ropfstütze
glatt ausgebreitete Decke kann diesen Rang noch nicht be-
anspruchen.

Zweifellos geht die Erhöhung über dem Fußboden
chand in pand mit der soeben geschilderten Vervoll-
kommnung der einfachen Lagerdecke und entspricht vielleicht
dem Bedürfnisse, den menschlichen Rörper während des
Schlafens innerhalb seiner, vor klinratischen und athmo-
sphärischen Einflüssen noch nicht gänzlich geschützten Ur-
hütte den schädlichen Einwirkungen des Bodens möglichst
zu entrücken, überdies wohl auch der Absicht, dem Ruhe-
bedürstigen sich bequemer darzubieten. Doch muß dies-
bezüglich bemerkt werden, daß wir hier einem gewissen
Gegensatz im Möbelbau begegnen, wie er als trennender
Unterschied zwischen orientalischem und abendländischem
Gebrauche scharf sich markirt; nämlich in der Verschieden-
heit der pöhe der das Möbel tragenden Stützen. So wenig
uns nun auch in Bezug auf die Zdee des Lagers die Er-
höhung desselben über dem Erdboden von Belang er-
scheinen mag, so muß doch anerkannt werden, daß eben
durch sie in constructiver Beziehung das Lager zum eigent-
lichen Möbel, d. h. zum tektonischen Gerüste wird, in
welchem sich also ideale und structive Elemente vereinigen,
es in seiner Grundform zu bestimmen.

Eine wesentliche und überaus charakteristische Er-
gänzung des Bettgestelles, welche das Mittelalter und die
Renaissance zu besonders reicher Gestaltung benutzt haben,
ist die am Ropf- und Fußende angebrachte Schutzlehne.
Sie ist zunächst wohl hervorgegangen aus dem Bedürfnisse,
das Bett behaglicher und geschützter zu machen und in
diesen: Sinne stilistisch aufzufassen. Ueberdies wird die
Lehne auch zum Orte reicher ornamentaler Durchbildung.

Mer würde verkennen, daß, gleichwie die aufrechte
chaltung, der aufrechte Gang das eigentliche Merkmal der
Fortbewegung des Menschen gegenüber der des Thieres
ist, — das Sitzen das gleiche specififche Merkmal be-
deutet für den ruhenden Menschen? Zn der That ist das

24. Skizze von <£. Aloucek (vgl. Abb. 2;).
 
Annotationen