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Litzen eine vom Ruhen und Liegen wesentlich verschiedene
Function, wie wir sie in der gleichen Alarheit und Schärfe
an keinem einzigen Thiere vornehmen können. Das Sitzen
ist ein Ausruhen bei vorherrschend aufrechter Aörper-
stellung. <£s ist deshalb ein Mittelding zwischen völliger
Ruhe, wie sie sich im Liegen ausdrückt, und der Thätig-
keit, wie sie in der aufrecht stehenden oder gehenden Ge-
stalt sich äußert. Das Sitzen ist eine ausschließlich dem
menschlichen Uörper angemessene Lage, dessen anatomer
Bau allein eine solche ermöglicht. Das ist ohne Zweifel
die letzte Ursache der so merkwürdigen culturellen Be-
deutung, welche bei allen Völkern der Sitz als Symbol
und Repräsentant für Ehre, Macht und Eigenthum er-
langt hat. Schon der sprachliche Gebrauch, welcher seine
auf Lultur und Eigenthum bezüglichen Worte, wie:
„Seßhaftigkeit, Stammsitz, Wohnsitz" ic. aus dem Worte
Sitzen ableitet, legt uns die Bedeutung dieser menschlichen
Ruheposition und ihren innern Zusammenhang mit der
Vorstellung von Eigenthum nahe.
Mehr äußerlich, dafür aber um so unmittelbarer
geschieht dies dadurch, daß der Sitz zum sichtbaren,
materiellen Symbol der Erhebung, der Macht und der
Auszeichnung für den Einzelnen wird; in seiner geringsten
Form als Ehrensitz, dem ersten Sitz unter einer Anzahl
minder bedeutungsvoller Sitze; in seiner höchsten Form
aber als Thronsitz, bestimmt, nur den Ersten des Volkes,
den Herrscher, aufzunehmen. Es stimmt mit dieser hohen
Bedeutung „des Sitzes" in der menschlichen Vorstellung
vollständig überein, daß unter allen Möbeln der Sessel
als dasjenige gelten kann, dessen Lösung in ornamental-
structiver Beziehung zu den schwierigsten Aufgaben der
Tektonik — ohne alle Ausnahme des Stils — gezählt werden
darf; eine Schwierigkeit, welche wohl zunächst in dein
schon erwähnten Umstand liegt, daß die den Sessel und
seine Form bestimmende und ihm gleichsam zum Motiv
dienende Position des Sitzens eben eine zwischen Ruhe
und Thätigkeit die Mitte haltende und daher nicht völlig
ausgesprochene Bethätigung ist. Je einfacher und be-
stimmter aber der Zweck des Möbels ausgesprochen ist,
desto einfacher und klarer wird das Möbel selbst sein, und
desto leichter auch die Aufgabe, den Zweck constructiv zu
erfüllen.
Der Grundgedanke des Sessels ist in rein tektonischer
Einsicht sehr einfach und in Allem wesentlich überein-
stimmend mit dem des Lagers. Gleichwie bei diesem
besteht die Lonstruction in einer zur Aufnahme des Aörpers
bestimmten horizontalen Fläche, welche über einen durch
Stützen getragenen Rahmen gelegt wird. Der Sitzfläche
nun fällt die eigentliche Hauptaufgabe hinsichtlich des
Zweckes des Möbels, den Menschen zu tragen, zu; wo-
gegen die Stützen und die übrigen Theile des Sessels
eigentlich nur indirect und zwar durch Vermittlung der
Litzfläche zu functioniren haben. Gewiß liegt in dieser,
dem Gesammtzweck in einer bestimmten Rangordnung sich
fügenden Stellungnahme der einzelnen Theile des Sitzes
der eigentliche Fingerzeig für die richtige Lösung dieser
Aufgabe.
Während die Gothik die Lehne, die Füße, ja selbst
die doch völlig untergeordneten, rein constructiven Ver-
spreizungen zwischen den Füßen des Stuhles sorgfältig
durchbildete, der Sitz der un-
tergeordnetste und unschein-
barste Theil des ganzen Mö-
bels, gleichsam das noth-
wendige Anhängsel dieses
ganzen, in eitlem Selbstzweck
sich brüstenden Werkes der
Schnitzerei blieb, ■— erhob
die Renaissance durch die
Einführung des Polstersitzes
diesen selbst zum Mittel-
punkte der tektonischen Lon-
struction. Man wende nicht
ein, daß dieser Fortschritt
lediglich Folge des größeren
Luxus oder gar der größeren
Verweichlichung der Zeit sei;
den Sitz bequem zu machen
hatte auch die frühere Zeit
nicht verschmäht. Aber daß
die Renaissance dieser größe-
ren Bequemlichkeit zu einer
stilgerechten und bewußten
Gestaltung verholfen hat,
dieß beweist eben ihre Ueber-
legenheit. Während die gothi-
fchen Möbel beim Gebrauch
erst mit Draperie behängen
und mit Polstern belegt wer-
den mußten, nagelte die Re-
naissance die Polster fest, die-
selben so in einen bleibenden Bestandtheil des Sitzes ver-
wandelnd. Der äußere Anlaß zur Einführung dieser Polster
mag allerdings zunächst in dein Umstand zu suchen sein,
daß mit dem Eintritte der Renaissance in: Möbelbau
auch das Möbel wieder seinem eigentlichen Zweck, ein
mobiles, d. h. bewegliches Geräth zu fein, zugeführt
wurde, gleichzeitig seinen architektonischen Eharakter mit
dem Stile des bloßen Hausgeräthes vertauschend; — aber
als der klarste Beweis für diese Umwandlung wird es
uns immerhin erscheinen dürfen, wenn die Renaissance
eben denjenigen Theil des Sessels hervorgehoben hat, der,
selbst am wenigsten constructiv, das eigentlich tektonisch-
formale Motiv des Gerüstes vorstellt. Als ein aus den:
Bedürfnisse größerer Bequemlichkeit hervorgegangener
25. Skizze von L. Aloucek
(vgl. Abb. 21).
26. Skizze von <£. Aloucek (vgl. Abb. 2;).
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Litzen eine vom Ruhen und Liegen wesentlich verschiedene
Function, wie wir sie in der gleichen Alarheit und Schärfe
an keinem einzigen Thiere vornehmen können. Das Sitzen
ist ein Ausruhen bei vorherrschend aufrechter Aörper-
stellung. <£s ist deshalb ein Mittelding zwischen völliger
Ruhe, wie sie sich im Liegen ausdrückt, und der Thätig-
keit, wie sie in der aufrecht stehenden oder gehenden Ge-
stalt sich äußert. Das Sitzen ist eine ausschließlich dem
menschlichen Uörper angemessene Lage, dessen anatomer
Bau allein eine solche ermöglicht. Das ist ohne Zweifel
die letzte Ursache der so merkwürdigen culturellen Be-
deutung, welche bei allen Völkern der Sitz als Symbol
und Repräsentant für Ehre, Macht und Eigenthum er-
langt hat. Schon der sprachliche Gebrauch, welcher seine
auf Lultur und Eigenthum bezüglichen Worte, wie:
„Seßhaftigkeit, Stammsitz, Wohnsitz" ic. aus dem Worte
Sitzen ableitet, legt uns die Bedeutung dieser menschlichen
Ruheposition und ihren innern Zusammenhang mit der
Vorstellung von Eigenthum nahe.
Mehr äußerlich, dafür aber um so unmittelbarer
geschieht dies dadurch, daß der Sitz zum sichtbaren,
materiellen Symbol der Erhebung, der Macht und der
Auszeichnung für den Einzelnen wird; in seiner geringsten
Form als Ehrensitz, dem ersten Sitz unter einer Anzahl
minder bedeutungsvoller Sitze; in seiner höchsten Form
aber als Thronsitz, bestimmt, nur den Ersten des Volkes,
den Herrscher, aufzunehmen. Es stimmt mit dieser hohen
Bedeutung „des Sitzes" in der menschlichen Vorstellung
vollständig überein, daß unter allen Möbeln der Sessel
als dasjenige gelten kann, dessen Lösung in ornamental-
structiver Beziehung zu den schwierigsten Aufgaben der
Tektonik — ohne alle Ausnahme des Stils — gezählt werden
darf; eine Schwierigkeit, welche wohl zunächst in dein
schon erwähnten Umstand liegt, daß die den Sessel und
seine Form bestimmende und ihm gleichsam zum Motiv
dienende Position des Sitzens eben eine zwischen Ruhe
und Thätigkeit die Mitte haltende und daher nicht völlig
ausgesprochene Bethätigung ist. Je einfacher und be-
stimmter aber der Zweck des Möbels ausgesprochen ist,
desto einfacher und klarer wird das Möbel selbst sein, und
desto leichter auch die Aufgabe, den Zweck constructiv zu
erfüllen.
Der Grundgedanke des Sessels ist in rein tektonischer
Einsicht sehr einfach und in Allem wesentlich überein-
stimmend mit dem des Lagers. Gleichwie bei diesem
besteht die Lonstruction in einer zur Aufnahme des Aörpers
bestimmten horizontalen Fläche, welche über einen durch
Stützen getragenen Rahmen gelegt wird. Der Sitzfläche
nun fällt die eigentliche Hauptaufgabe hinsichtlich des
Zweckes des Möbels, den Menschen zu tragen, zu; wo-
gegen die Stützen und die übrigen Theile des Sessels
eigentlich nur indirect und zwar durch Vermittlung der
Litzfläche zu functioniren haben. Gewiß liegt in dieser,
dem Gesammtzweck in einer bestimmten Rangordnung sich
fügenden Stellungnahme der einzelnen Theile des Sitzes
der eigentliche Fingerzeig für die richtige Lösung dieser
Aufgabe.
Während die Gothik die Lehne, die Füße, ja selbst
die doch völlig untergeordneten, rein constructiven Ver-
spreizungen zwischen den Füßen des Stuhles sorgfältig
durchbildete, der Sitz der un-
tergeordnetste und unschein-
barste Theil des ganzen Mö-
bels, gleichsam das noth-
wendige Anhängsel dieses
ganzen, in eitlem Selbstzweck
sich brüstenden Werkes der
Schnitzerei blieb, ■— erhob
die Renaissance durch die
Einführung des Polstersitzes
diesen selbst zum Mittel-
punkte der tektonischen Lon-
struction. Man wende nicht
ein, daß dieser Fortschritt
lediglich Folge des größeren
Luxus oder gar der größeren
Verweichlichung der Zeit sei;
den Sitz bequem zu machen
hatte auch die frühere Zeit
nicht verschmäht. Aber daß
die Renaissance dieser größe-
ren Bequemlichkeit zu einer
stilgerechten und bewußten
Gestaltung verholfen hat,
dieß beweist eben ihre Ueber-
legenheit. Während die gothi-
fchen Möbel beim Gebrauch
erst mit Draperie behängen
und mit Polstern belegt wer-
den mußten, nagelte die Re-
naissance die Polster fest, die-
selben so in einen bleibenden Bestandtheil des Sitzes ver-
wandelnd. Der äußere Anlaß zur Einführung dieser Polster
mag allerdings zunächst in dein Umstand zu suchen sein,
daß mit dem Eintritte der Renaissance in: Möbelbau
auch das Möbel wieder seinem eigentlichen Zweck, ein
mobiles, d. h. bewegliches Geräth zu fein, zugeführt
wurde, gleichzeitig seinen architektonischen Eharakter mit
dem Stile des bloßen Hausgeräthes vertauschend; — aber
als der klarste Beweis für diese Umwandlung wird es
uns immerhin erscheinen dürfen, wenn die Renaissance
eben denjenigen Theil des Sessels hervorgehoben hat, der,
selbst am wenigsten constructiv, das eigentlich tektonisch-
formale Motiv des Gerüstes vorstellt. Als ein aus den:
Bedürfnisse größerer Bequemlichkeit hervorgegangener
25. Skizze von L. Aloucek
(vgl. Abb. 21).
26. Skizze von <£. Aloucek (vgl. Abb. 2;).