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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 5
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Thalhofer, Nic.: Zur Gestaltungsgeschichte des Möbels, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0050

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Beziehung einer jeden Stütze ist sonnt eine zweifache, einer-
seits nämlich zu dem gestützten Gegenstände, andererseits
zur Grund- oder Standfläche. Es kann nach allem Vorher-
gegangenen für uns nicht fraglich fein, daß von diesen
beiden Beziehungen beim Möbel zunächst die erstere Ge-
staltung der Stütze maßgebend sein wird. Da nämlich
das Möbel nicht bestimmt ist, mit dem jeweiligen Orte
seiner Verwendung in fester Verbindung zu bleiben, sondern
im Gegentheil eben die Beweglichkeit sein wesentliches
Merkmal ist, so ergibt es sich, daß die Beziehung des
Stützwerkes zur Unterlage keine absolute sein wird. Da-
gegen wird aber eine solche Beziehung wohl bestehen
zwischen dem Möbel und eben diesen Stützen. Die erste
und maaßgebendste Stellung also der Stütze beim Möbel
wird diejenige sein, welche es zun: Gestützten selbst einnimmt.

Es wird die Beweglichkeit nicht für alle Möbel die-
selbe sein und man kann wohl einen Unterschied zwischen

47. Aus dem Areuzgang des Brixener Domes.

(Nach dem Werke: „Aunstschätze aus Tirol"; vgl. S. ff-)

Möbeln von größerer und solchen von geringerer Beweg-
lichkeit machen. Denn je beweglicher ein Möbel ist, desto
kräftiger soll in seinen Stützen die Richtungsbeziehung von:
Getragenen zur Standfläche hervortreten. Dies wird nun
in einer verstärkten Abnahme des Querschnittes der Stütze
(Verjüngung) von oben nach unten sich an: deutlichsten
aussprechen. Anders verhält es sich bei Möbeln, welche,
größer in ihren Dimensionen und nmssiver in ihren
Formen, hauptsächlich bestimmt sind, an dem Orte ihrer
Aufstellung stehen zu bleiben, und welche deshalb ver-
mittelst ihrer Stützen mit dem Fußboden in einen solideren.
Zusammenhang gebracht werden müssen, wie der Schrank.

Als die Architektur in das Mobiliar eindrang, was
ja auch beim Sitz:::öbel der Fall war, wurden die Stuhl-
beine mit Säulen versehen. Aber keinem Aegypter ist es
eingefallen, seinen Stuhl auf 2 paar Tempelsäulen statt
der Beine zu setzen, wie es Renaissance und Empire, wie
auch unsere Meister gethan haben. Kein Grieche hat
sein Bett :nit Pilastern und Kranzgesimse:: geziert, kein

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mittelalterlicher Künstler eine Truhe mit Arkaden und
Portalen umgeben. Erst als in: späten Mittelalter die
bildenden Künste ähnlich den: Meistergesang in ein ganz
äußerliches Formenspiel entarteten, begann man auch
Möbel für den Gebrauch mit Architekturtheilen zu ver-
zieren.

Gleichzeitig erfordert die Beweglichkeit und die Be-
nützung, da auch wir uus zwischen den Möbeln bewegen,
die Annäherung an organischere Forinen, und das sind
rundliche. Ze inniger ein Möbel init unserem Körper
in Berührung kommt, um so mehr muß es die architek-
tonische Starrheit vermeiden. Scharfkantige Möbel, die
mit empfindlichen Körpertheilen unversehens in Berührung
kommen können, sind widersinnig; den „Alten", von denen
wir unsere Formen doch abgeleitet haben, ist so was nicht
eingefallen. Selbst ihre marmornen Monumentalsessel an
öffentlichen Plätzen und in Theatern zeigen weder Säulen
noch Gesimse, noch eckige Formen; ja selbst bei diesen
unverrückbaren Sitzmöbeln deuteten sie die Bewegungs-
fähigkeit und damit das Organische häufig dadurch an,
daß sie die Füße als Thierbeine ausbildeten, das sprechendste
Symbol für einen Möbelfuß, neben der Kugel.

heutzutage haben wir vielfach zweierlei, verschiedenen
Stilarten angehörige Möbel in unserer Wohnung; wir
haben Sitzmöbel mehr nach dem Muster des f6. und
\7. Jahrhunderts in unseren: Speisezimmer und andere,
welche ihren Ursprung aus den Formen des f8. Jahr-
hunderts ableiten, in unserem Salon, im Sitzzimmer.
Und das ist ganz der Sitte angemessen; denn im Wohn-
zimmer und Salon, wo wir uns der Behaglichkeit, den:
gesellschaftlichen Gespräche hingeben, wollen wir es so
bequem wie möglich haben, der Geist soll frei sein und
den Körper nicht fühlen, und da sind uns die bequemen,
weichen, gebogenen und tiefen Sitzmöbel des \8. Jahr-
hunderts aus der Blüthezeit des Salons eben recht, während
u:n den Speisetisch die geraden und steiferen Fornren der
früheren Zeit für den Dienst selber zweckmäßiger sind.
Wir haben aber die einen wie die andern schon für unfern
Körperbau zugerichtet. Weder die Sitzmöbel des Salons
noch die des Speisezimmers find gerade so geblieben, wie
die Vergangenheit sie geschaffen hat. Sie hat nur die
Motive geliefert, in der Regel wenigstens, und das ist
auch ganz in der Ordnung; denn nicht um stilgerechte,
kunstgeschichtlich genaue Topirung alter Stücke handelt es
sich, sondern gerade u:n deren Umwandlung für unfern
Brauch und unsere Sitte.

Bei der Erläuterung des Tisches können wir uns
in foferne kürzer fasten, als wir den einen seiner Bestand-
theile, die Stütze im Verhältniß zum Menschen, soeben
besprochen haben. Der 2. Bestandtheil des Tisches ist die
Tafel. Sie ist der eigentliche haupttheil, welchem die
Füße, das Gestell, untergeordnet sind. Der Tisch ist aus
diese Art nicht nur in seiner ganzen Zweckdienlichkeit,
sondern auch in seiner Tonstruction abhängig vom Sessel
und gewissermaaßen dessen Ergänzung; wenigstens überall
dort, wo er im unmittelbaren Dienst menschlicher Hand-
habungen auftritt und nicht etwa bloß den Zweck einer
Stellage erfüllt, einer Unterlage für etwas Darauszustellendes.
Bei alldem bleibt der erste Zweck eines Tisches der, als
ruhige und sichere Standfläche zu dienen, welchen: Zweck
 
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