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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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Gmelin, L.: Die Stickereien von H. Obrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0066

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Gebilden nachstreben — direct nach
der Natur gestickt sind.

Gin paar grüne oder dürre
Tannenzweige auf einem grau-
grünen, mit blau und gelb unter-
mischtem Tuch konnten unmöglich
in dieser Naturtreue nachgestickt
werden, ohne daß die Stickerin be-
ständig das Original vor Augen
hatte. Noch weniger ging es an,
einen lockeren Strauß von Wiesen-
blumen darzustellen, in welchem auf
einen: graugrünen quadratischen

Tuchstücke Skabiosen, Gänseblüm-
chen, Alee, Dolden, Ruprechtskraut
u. f. w. unter einem Schleier von
Gräsern vertreten waren. Bezeich-
nend für diese Darstellungsweise
war die sorgfältige Wahl sowohl
des vielfarbigen Stickmaterials als
auch der verschiedenen Stichtagen und Sticharten, womit
stets alle Einzelheiten der Pflanzentheile vollkommen deut-
lich charakterisirt wurden, ohne doch jemals plastisch hervor-
zutreten. — Lin schmales hohes Feld aus meergrüner
Seide rief die Lrinnerung an eine leichtbewegte Wasser-
fläche wach; denn über den von unten aufsteigenden
Gräsern und Binsen tummelte sich eine Schaar von einem
halben hundert Libellen — fast nur in Umrissen gestickt,
dunkelgrün die Leiber und Füße, weiß die Flügel, d. h.
deren zartes Skelett — das Ganze ein bezauberndes Bild.

Die Seide beherrschte indessen durchaus nicht alle
Mbrist'schen Arbeiten; vielmehr zeichneten sich dieselben
gerade dadurch aus, daß jedes Stück und jedes darauf
zur Darstellung gelangende Naturgebilde in dein für die-
selben passendsten Material ausgeführt wurden. Weder
Tuch noch ungebleichte Leinwand werden verschmäht,
auch Leder —■ gelbes und graues Waschleder — kommt
zur Verwendung.

Durch das Lntgegenkommen des Lommissionsver-
lags^) des „pan", welcher in seiner letzten Nummer die

') F- Fontane & Lamp., Berlin.

76.

Mbrist'schen Arbeiten besprochen und
durch einige Abbildungen illustrirt
hat, sind wir in der Lage, unseren
Lesern Liniges von jener Stickerei
vorzuführen, allerdings nur kleinere
Arbeiten, die aber doch in gewifsetn
Sinne die Arbeitsweise Obrist's be-
zeichnen. Abb. kst stellt den Mittel-
theil eines Windschirms dar, welcher
aus gelbgrauer Leinwand besteht
und mit Darstellungen des „Eisen-
huts" geschmückt ist; während die
weniger vortheilhafte Behandlung
der Blumen (durch einzelne ver-
schieden dunkele Fadenzonen) noch
auf ein früheres Entwicklungs-
stadium dieser Sticktechnik hinweist,
kündet sich in der Behandlung des
Laubwerks schon eine neue Technik
an, deren Grundzug die An-
schmiegung an die natürliche Äderung der Blätter ist: die
Füllungen der Blattflächen zwischen den Adern folgen
jede einer besonderen Fadenlagerung, wodurch bei dem
Glanz der verwendeten Seide stets ein lebhaftes Spiel in
der Erscheinung der Blattfläche entsteht, welches einiger-
maaßen mit dem wechselnden Aussehen der natürlichen
Blätter correspondirt. Unter den beiden andern abgebil-
deten Stücken besitzt Abb. 75 einen Grund aus weißein
Atlas (die Gräser selbst sind braun), Abb. 76 einen solchen
aus graugrünem Tuch, auf welchem das algenartige Ge-
schlinge innen rosa, nach Außen hin grünlich und bläulich
in Seide gestickt ist.

Rann man es unbedenklich aussprechen, daß diese
„Bilder" kaum jemals mit einfacheren und für den Gegen-
stand bezeichnenderen Mitteln gestickt werden könnten, so
scheinen uns die Wege, welche Obrist eingeschlagen hat,
um derlei Arbeiten Eingang in der Ausstattung der
Wohnung des Reichen zu verschaffen, nicht immer die
richtigen zu sein. Vor allen Dingen sollten dieselben
nicht — wie dies in einzelnen Fällen zutrifft — bean-
spruchen, daß man die Räume solchen Stickereien zuliebe
gestaltet; wenn dieselben die Aufgabe haben, Räume zu
schmücken, so müssen sie sich nach den letztern richten, nicht
umgekehrt; der Bau selbst ist das Primäre, alles Andere
kommt nachher und muß sich dem schon Vorhandenen
anbequemen.

Wie die Obrist'schen Stickereien nicht aus den üb-
lichen Stickerei-Werkstätten hervorgegangen sind, so werden
sie auch denselben kaum viel Anregungen geben, was auch
gar nicht ihre Absicht ist, und es ist gut so. Es könnte
sonst leicht wieder jener glücklicherweise überwundene Zu-
stand eintreten, da man die höchste Aunst der Stickerei
darin suchte, große Blumensträuße, punde und Aehnliches
in naturgetreuer, plastischer Wirkung wiederzugeben, wie
das vor bald einem Menschenalter so beliebt war. Man
könnte es dann wieder erleben, daß inan derartige — als
reines Flächenbild ja nicht durchaus verwerfliche —
Darstellungen als Sopha-Ueberzug, Tischdecken und Aehn-
liches auferstehen ließ. Davor möge uns ein gütiges
Geschick bewahren! G.

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