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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 7
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Gmelin, L.: Slavische Stickereien auf der Prager Ausstellung (1895)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0071

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sind oder wobei sie mit runden Blumen
abwechseln, gehört gleichfalls nicht zu den
Seltenheiten )Abb. 88).

Aber nicht nur das Grnament selbst,
sondern auch seine Farbe und Anwen-
dungsweise tragen viel zur Charakteristik
dieser Stickereien bei. hinsichtlich der
Farbe der Stickereien sei zuvörderst be-
merkt, daß weitaus die Einfarbigkeit
vorherrscht, oder daß wenigstens neben
einer herrschenden Farbe nur noch wenige
andere und diese meist ziemlich unter-
geordnet auftreten. Einer ganz besonderen
Vorliebe erfreut sich die dunkelrothe Farbe
und zwar besonders stark in den Gegen-
den von Iungbunzlau und im Böhmer-
wald; in der Gegend von Pilsen und in
der Mährischen Slovakei wird sie von
gelb und grün, bei Tabor und Blatsko
(Neuhaus) von gelb begleitet. Reine
Meißstickerei ist für Mittelböhmen (Prag
und Umgebung) bezeichnend; dazu gesellt
sich gelb in der Gegend von Leitomischl
bei den Hannaken und den mährischen
Malachen. Schwarz spielt bei den slowakischen und hanna-
kischen Stickereien neben weiß eine große Rolle, wobei nur
gelb bisweilen noch bescheiden mitspricht; dagegen hat
gelb in seinen verschiedenen Abstufungen von grüngelb bis
orange die Führung bei den walachifchen Stickereien. Bon
einer kühlen Farbenstimmung in blau und schwarz sind
manche Arbeiten der Pilsener Gegend beherrscht. Die
feine Zusammenstellung von weißen: und ungebleichten:
Leinengarn, unter sparsamer Begleitung von schwarz,
findet sich insbesondere an den Häubchen aus der Gegend
von Prag, Turnau, Nachod. (Abb. 78.)

Was die Anbringung der Stickereien betrifft, so läßt
sich mit ziemlicher Bestimmtheit behaupten , daß dieselbe
immer von den Säumen, Nähten, Ecken ausgeht, nie
etwa von der Mitte einer Fläche; selbst bei den reichen,
fast völlig mit Stickereien bedeckten Miedern der Slowaken
läßt sich die Entstehungsweise des Mrnaments vom Rand
nach innen, oder diagonal von den Ecken aus unzweifel-
haft feststellen. Wenn man von einer Ausnahme reden
wollte, so könnte man eine solche höchstens in den völlig
mit Stickerei überdeckten Häubchen und bei den nicht sehr
häufigen Streublumenmustern erblicken.

Um auf Einzelnes näher einzugehen, knüpfen wir an das auf
Taf. 25 theilweife dargestellte Kopftuch aus Kralovitsch bei p i I f e n
an, weil diese Stickerei deutlich den Charakter zahlreicher böhmischer
Plattstickereien kennzeichnet. Pier, wie in vielen anderen Beispielen,
herrscht die kirschrothe Seide durchaus vor; nur die breiten, in gelb
und grün gehaltenen Pauptranken machen davon eine Ausnahme.
Zunächst springt sofort in die Augen, daß die ornainentirtc Ecke sehr
dicht mit Stickerei bedeckt ist; doch stellt dies noch nicht das Aeußerste
dar, was in Dichtigkeit geleistet wird. Es kommen unter den Arbeiten
aus der Pilsener Gegend Stücke vor, bei welchen der weiße Grund
nur noch in ganz schmalen Streifen zwischen dem farbigen Grnament
hervorlugt; dagegen wird durch geschickte Wahl der Fadenlagen die
Klarheit des Ornamentes wieder gehoben und gleichzeitig bei dem
Glanz der Seide ein lebhaftes Lichtspiel und eine weitgehende Nüan-
cirung der einzigen Farbe hervorgerufen. Meist bildet so das Ge-
ranks mit den mannigfachen Blumen und Blättern, die sich von An-
klängen an bestimmbare Gebilde der Natur möglichst sernhalten, eine

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dichtgeschlossene Masse, aus welcher selten einzelne Ranken seitlich
heraustreten. Und während man sonst bei jeder vegetabilischen
Bordüre das Bedürfniß empfindet, dieselbe durch strengere Linien ab-
zuschließen, drängt sich dieses Bedürfniß hier meist gar nicht auf, da
die Grnamentmafsen so geschlossen und dicht sind, daß ihr Rand ruhig
genug ist. Die in dieser Ausstattungsweise sich aussprechendc Wohl-
habenheit und Ueppigkeit macht sich auch dadurch bemerklich, daß die
„Planen" dieser Gegend (Kralowitsch — Pilsen — Mies) doppelseitig
gestickt sind, nicht nur einseitig wie die später zu besprechenden aus
Südböhmen.

Bei den aus dem Böhmerwald stammenden Mustern bewegt
sich das pflanzliche Ornament sehr fein stilisirt in großen, einfachen
Linien über die Fläche; das dadurch hervorgerufene Bedürfniß nach
linearer Umrandung der Borte wird daun auch in der Regel befriedigt,
wobei das Muster die Fläche zwischen den vorgezeichneten Randlinien
völlig ausfüllt. Rothe Seide bildet auch hier das vorherrschende Stick-
material; doch drängen sich schon andere, im Ganzen Heller und süßer
gestimmte Farben hinzu.

Unter allen böhmischen Stickereien haben die sü d b ö h m isch en
— aus der Blatta-Lbene bei Pisek, Wodnjan, Tabor — die brillanteste
Farbenwirkung, die nicht selten ungenehme Parten aufweist. Am
schlimmsten wird diese Farbenstimmung da, wo sie unter dein Einfluß
der modernen Farbenchemie steht; beispielsweise waren aus der Gegend
von Tahor einige gestickte Gewandstückc zu sehen, deren Blumen
tit brillantesten: Anilinviolet prangten, neben blaugrünem und gold-
gelbem Beiwerk. An anderen Stücken aus derselben Gegend mischte
sich mit der Fadenstickerei der Besatz mit kleinen, bunten Glaskugeln
und Glasperlen — welche häufig zur Lonturirung der Plattstickereien
angewandt werden —, sowie mit linsengroßen Goldflitterchen. Durch
derartige Ausstattung haben diese Arbeiten vielfach etwas Buntes,
Schreiendes erhalten, und sie widerlegen damit die oft gehörte Be-
hauptung von dem natürlichen Sinn für Farbenharmonie, der sich bei
den Naturvölkern finden soll; nicht das künstlerische Empfinden ist es,
was den Erzeugnissen der von der Lultur noch weniger berührten
Völker ihre Farbeuharmonie verleiht, sondern der glückliche Zufall, daß
die Natur denselben keine so brillanten, aufdringlichen und darum
schwerer miteinander in Einklang zu bringenden Farben zur Verfügung
gestellt hat. Seit der Orient mit der europäischen Farbenchemie Be-
kanntschaft gemacht hat, geht die vielgerühmte Farbenharmonie orien-
talischer Arbeiten ihrem verderben entgegen, da die Anilinfarben das
naive Auge des Orientalen unentrinnbar bestechen; die gleiche Beobach-
tung kann man an den ans neuerer Zeit stammenden böhmischen Sticke-
reien, wie den obengenannten und anderen, machen. — Die Stickereien

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