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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 8
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Gmelin, L.: Das Kunstgewerbe auf der Berliner Gewerbeausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0079

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4- 67 -t*


ein Paar stunden vergeblich versucht hat, sich mit derlei
Wahrnehmungen abzufinden, dann empfindet man es als
eine wahre Erlösung, auf Arbeiten zu treffen, wie z. B.
jene einfachen, offenbar auch mit maschi-
neller Beihilfe hergestellten Messinglaternen
von Georg Müller; ihr ganzer Schmuck
besteht etwa im Schliff der Gläser, oder
in Vernickelung, Brünirung, bisweilen in
sparsam mittels Pressung ornamentirten
Streifen ohne Großsprecherei, ohne erborg-
ten Aufputz. So einfach diese Sachen sind,

— es steckt ein guter Geschmack, eine ge-
sunde Aufrichtigkeit darin, die nichts be-
schönigen will, weil es etwa der gute Ton
verlangt (?!), daß man Redensarten drum
herum macht. Gleiche Empfindungen wer-
den auch z. B. bei Betrachtung der einfachen
hölzernen Theebretter von Z.kst Mackensen
und der einfachen Lederarbeiten einer ganzen
Reihe von Geschäften wachgerufen.

Doch zurück zur Ausstellung!

Wollen wir uns über die stilistische
Phyfignomie des Berliner Aunstgewerbes
unterrichten, fo erwarten wir darüber am
meisten Aufschluß bei den Möbel- und
Zimmereinrichtungen; die starke Ver-
tretung dieses Gebiets (\36 Aussteller) läßt
die Vermuthung berechtigt erscheinen, daß
dieselbe ein zutreffendes Bild über den der-
zeitigen Stand der Berliner Möbelindustrie
gibt, wenn auch einige der hervorragendsten
Geschäfte nicht ausgestellt haben. Die Ber-
liner Möbelindustrie ist neben der pariser,

Wiener und amerikanischen die wichtigste
der Welt; einschließlich der nur auf lokalen
Absatz angewiesenen Bautischlerei beschäftigt
sie etwa ^0000 und ernährt etwa sOOOOO
MenschenB) Sie muß und wird sich daher
auch ganz besonders nach dem Weltmarkt
richten, wenn sie lebensfähig bleiben will.

So wenig man nun irgend einen einheit-
lichen Tharakter beim Mobiliar zu entdecken
vermag, fo wenig kann man die Thatfache
bestreiten, daß man sehr vielfach bestrebt
ist, zu einfacheren, structiv klareren Formen
überzugehen, wobei eine mehr oder weniger
starke Anlehnung an Louis XVI., Empire,
sowie an die englischen und amerikanischen
Möbel, bis zu den Vorbildern der Shereton,

Ehippendale, kjeppelwhite stattfand, während
gleichzeitig die älteren Stilarten, besonders
das Rococo, sehr zurückgedrängt wurden.

Dieser Vorgang braucht durchaus nicht
aus einer besonderen Vorliebe für England
abgeleitet zu werden; er ist vielmehr nur
das Spiegelbild der Bewegung auf dem
Weltmarkt, der sich nach der Uebersättigung mit alten Stil-
formen nach einer gewissen Schlichtheit der Formgebung

*) Vgl. hierüber die Untersuchungen des Vereins für Sozial-
politik, q, Band.

sehnt, wobei diesem Sehnen gewisse einfache, oft auch allzu
poesielos-ehrliche Dinge aus England und Amerika oder
aus der Zeit des Wiener Tongreffes entgegenkommen;

aber es ist falsch, nunmehr ebenso gedanken-
los diese neuen Götzen anzubeten, wie es
vordem mit den alten geschehen. Wenn die
Verehrung nicht einein inneren Drange ent-
spricht, kann sie weder von Dauer, noch
einer Weiterbildung fähig sein. Gar vielen
solchen Zimmereinrichtungen merkt man
auch sofort an, daß es sich hier nur um
ein oberflächliches Unterhaltungsspiel mit
kleinlichen, zierlichen Formen haitdelt, —
um Phrasen und äußerliche Eleganz. Daß
nran die Nachahmung andrer Stilweisen
ganz aufgegeben habe, davon kann natür-
lich keine Rede sein, ebensowenig von einem
völligen Verlassen gewisser Geschmacklosig-
keiten, wie z. B. die unvernünftige Ver-
wendung einzelner Seidenfetzen, womit die
Wände in gänzlich sinnloser Weise drapirt
werden, •— oder von Sammt und Plüsch,
die nicht nur die Polsterungen bedecken,
sondern auch über Säulen, Geschränk,
ja selbst über den Aaminmantel dahin-
wuchern !

Es ist bezeichnend und entspricht völlig
der Natur des Materials, daß bei Ver-
wendung einheimischer polzarten, wie
Eichen- und Nußbaumholz, auch die ein-
heiinischen Stilweisen ihre Herrschaft inehr
oder weniger behauptet haben; die Ein-
führung fremdländischer pölzer, deren
Festigkeit dünnere Eonstructionstheile ge-
stattet, hat auch die Herstellung der dün-
nen, zierlichen fremdländischen Möbel be-
günstigt, —- und diese Einfuhr hat augen-
scheinlich einen beträchtlichen Umfang an-
genommen, wie auch aus der oft recht
glücklichen Verwendung verschiedener lhölzer
bei derselben Zimmereinchtung hervor-
geht.

Es wurde oben gesagt, daß das Ein-
dringen der einfachen englischen und ameri-
kanischen Möbel eine Art Reaction gegen
die frühere krause Ueberladung sei; daß
man aber unser Ulobiliar auf einfachere,
besonders auf constructiv richtigere Formen
zurückführen kann, ohne deßhalb die Muster
jenseits des großen Wassers zu holen, be-
weisen die gothischen Zimmereinrichtungen
und Möbel, welche zwar nicht in großer
Anzahl, aber •— sofern sie nicht durch
unpassende moderne Zuthaten entstellt sind,
— doch immerhin in erfreulicher Weise
bekunden, daß hier ein gesunder Sinn
für das Paffende, für das Vernünftige waltet, der den:
Aunstgewerbe nur von Vortheil fein kann. Zu den vor-
nehmsten, weil aus allen unnöthigen Prunk verzichtenden
Räumen gehört das Speisezimmer von Spinn und

99. Landelaber für elektrisches Glüh-
licht von L. £j. Stobwasser & <£o.,
Berlin. Marmor und Bronce.

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