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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 10
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Halm, Philipp Maria: Dürer und Holbein und ihre Beziehungen zum Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0103

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Dürer läßt sich an eine Ausführung derselben denken.
Ich führe hier nur den Tisch und den Stuhl auf dem
Blatte des Astronomen, den Stuhl des Tardinals, des
Richters iin Todtentanz an. Sie zeigen zumeist überladene
Formen, und Polbein dachte auch gar nicht an eine Aus-
führung; Pauptzweck war ihm, iin Sinne der Renaissance
und namentlich der Italiener, jedes Stück möglichst reich
zu gestalten.

Tinen hervorragenden Platz beansprucht Polbein in
der Textilkunst, gilt doch heute der Name „Polbeintechnik"
als termmus tecbnicus in der Stickerei. Welch' reiches
Material bieten die Gemälde, wie etwa die Madonna
des Bürgermeisters Meyer mit dein prächtigen Teppich-
muster und den zierlichen Stickereien am Aermel der
Bürgermeisterstochter, das Porträt des Derich Born (in der
Münchener Pinakothek) mit dem fein gearbeiteten Aragen,
dann die Darstellungen peinrich's VIII. mit den reichen
Teppichen, den Thronbekleidungen, die Porträts der eng-
lischen Damen mit den zarten Spitzenkragen. Auch in
diesen: Punkte erscheint Polbein ganz den italienischen
Renaissancekünstlern gleich und ebenbürtig.

Noch müssen wir bei Betrachtung der kunstgewerb-
lichen Thätigkeit polbein's jener unzähligen Randleisten,
Bignetten und Titelblätter für den Buchdruck erwähnen,
die uns eine unerschöpfliche Formenwelt eröffnen. Neben
rein historischen äcenen, wie etwa der Geschichte des
Mucius Scävola oder der Darstellung von dem Tode
des Decius auf dem Titelblatte zu Gvid's Metamorphosen,
dann den Todtentanzbildern, den Bauernsccnen, begegnen
wir tiefsinnigen Allegorien, wie z. B. auf der herrlichen
Tebestafel. Besondere Beachtung verdienen die Buch-
druckermarken, die Polbein für Froben, Petri u. A. fer-
tigte und in denen wir gar oft die Borbilder moderner
Entwürfe erblicken. Bei Bielen:, was uns heute neu und
eigenartig dünkt, stand Meister Polbein pathe.

Fassen wir polbein's Thätigkeit für das Aunstgewerbe
zusammen, so erkennen wir fast durchweg ein Streben,
reich und prächtig zu gestalten, wozu ja schon zmneist der
Zweck der einzelnen Gegenstände aussorderte und was ja
eigentlich im Geiste der Renaissance begründet lag. Aber
noch ein anderes Moment konnnt hier in Betracht. Ts
ist der Umstand, daß Polbein vornehmlich für den üppigen
pof peinrich's VIII. thätig war; und haben wir in Dürer
den echten Aünstler des deutschen pauses kennen gelernt,
so tritt uns in Polbein der Aünstler und Aunsthandwerker
des Pofes, des Palastes pur excellence entgegen.

Mir sehen, wie in Dürer der Geist der Renaissance
inächtig sich regte, wenn auch der Aunsthandwerker nicht
völlig von der Gothik sich loszureißen verinag. Ts ist
dies un: so beachtenswerther, als Dürer nainentlich als
Theoretiker fast ganz auf den: Boden der Renaissance
stand. Der Gedanke seiner Merke ist zumeist erfüllt vom
pauche der neuen Zeit, die Form: aber bequemt sich noch
nicht völlig derselben an, sie wurzelt noch zu tief in der alten
Aunst. Anders Polbein. Tr ist nicht jener gewaltige
Ringer und Kämpfer, der uns Deutsche gerade in Dürer
so sympathisch anmuthet. Da er zun: Jünglinge heran-
gewachsen war, hatte die Renaissance schon obgesiegt. In
vollen Fluten hatte die Möge des neuen Stils sich über
die Alpenländer nach Deutschland ergossen. Mas Dürer

mühsan: durch eigene Arast in: fernen Italien sich einst
aneignen mußte, das drang jetzt auf der alten Rottstraße
in Augsburg ein. Ferne sei es, durch diese Bemerkung
das Verdienst polbein's zu schmälern. Ist ja polbein's
Ruhm nicht darin begründet, neue Formen in die Aunst
getragen zu haben, sondern viebnehr darin, daß er die
neuen Foruren den: heimischen Geiste, der heimischen Aunst
unterzuordnen verstand. And stets ist Polbein seiner heimath-
lichen Aunst eingedenk. Tr zieht nach einen: fernen Lande
und breitet sie aus, wie in der Peinrath; wir sahen sogar,
wie seine Aunst gewisse Zweige des Aunsthandwerks in
Fesseln schlug. Nieinals rnehr hat ein deutscher Aünstler
der deutschen Aunst in einen: freinden Lande

\27. Aus Ejolbetu’s Malereien zu den Drgelthüreii des Baseler

Münsters.

schiedensten Strömungen kornmen, aber immer, so lange
es eine deutsche Aunst gibt, werden Dürer und Polbein
die ersten Lehrmeister sein, jedoch nicht in dem Sinne,
daß stets an eine strenge Nachahmurrg ihrer Merke ge-
dacht werden soll. Wie ihre Merke beurtheilt werden
sollen, wie ihre Lehre zu betrachten sei, spricht Dürer klar
in: Vorwort der „Vier Bücher von der menschlichen Pro-
portion" aus:

„Doch ist Nieinand gezwungen, dieser ineiner Lehr
nachzugehen an allen Orten. Denn die menschliche
Natur hat noch nicht so sehr abgenommen, daß ein
Anderer nicht auch etwas Besseres erfinden könnte. Des-
halb mag jeder dieser meiner Unterrichtung, so lange
es ihm gefällt oder bis er ein Besseres findet, folgen;
wenn nicht, nun so niag er annehmen, daß diese Lehre
nicht ihm, sondern andern, die sie anzunehmen begehren,
beschrieben sei. Denn es muß gar ein spröder Verstand
sein, der sich nicht traut, auch etwas Weiteres zu er-
finden, sondern immer auf der alten Bahn liegt."
 
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