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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 11
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Semper, Hans: Charakteristik des "Rubensstiles" (des belgischen Barocks) in der dekorativen Skulptur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0109

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durchbrochen, mit geraden oder segmentförmigen Schenkel-
theilen, oft ohne Giebelfuß, auch an den Seiten auf
Sockeln gestelzt. Ani dreithorigen Durchgang zuin Garten
des Rubens ist ein gemeinsamer Giebel angedeutet, der
in der ganzen Gesimsbreite ansteigt, der aber über den
Seitenportalen durchbrochen ist und deshalb über dem
Mittelportal gestelzt werden mußte, um nicht gleichsam
in der Luft zu schweben. (Vergl. Fig. s30.) Die Nischen
sind oft auf's reichste fensterartig ausgebildet (Zesuiten-
kirche Antwerpen), mit Muschelwölbungen verziert und
durch Giebel überhöht.

Unter den Füllungsornamenten dieses Stiles er-
wähnten wir schon der herrlichen Akanthusranken, welche
besonders Friese und Zwickel füllen und oft mit Figuren
belebt sind (Zesuitenkirche Antwerpen). Nicht minder be-
liebt ist die hängende Fruchtschnur, welche schwer
und üppig gebildet wird und an den verschiedensten Stellen,
an ionischen Eapitälen, zwischen Eapitälen (nach palla-
dio's Art: Rathhaus in Amsterdam von A. cZuellinus
d. A.), an Eartouchen, an Deckenfeldern, an Friesen, an
Aediculen und Aufsätzen als Seitenschmuck verwendet
wird. Nicht minder beliebt ist das Füllhorn, welches
vermöge feiner anschmiegsamen Form sich für diesen in
elastischen, weichen Linien sich bewegenden Stil besonders
eignet: Anr häufigsten kommt es als Einfassung von
Eartouchen, Nischen, Oberlichtern ic. vor.

Ein im Barockstil aller Länder besonders häufig
verwendetes Motiv ist der Seraph köpf, der besonders
auch im Rubensstil zu den verschiedensten Zwecken dient,
als Schmuck an Eonsolen, Schlußsteinen, Ear-
tsuchen, in Verbindung mit tragenden Gliedern, wie
wir oben sahen. Besonders in der kirchlichen Decoration
als passendes Symbol beliebt, verdrängte er auch in der
Profankunst vielfach dis fratzenhaften Masken, die
im f6. Jahrhundert so gebräuchlich waren. Doch kommen
sie in Letzterer auch jetzt noch vor, an Schlußsteinen
(am Rathhaus zu Lille), sowie besonders in Eartouchen,
deren weichem Gefältel sie sich harmonisch anschmiegen. —
Die Löwenmasken, ein Lieblingsmotiv des Urbain
Taillcbert und seiner Richtung, kommen ini Rubens-
stil nicht mehr so häufig vor, ohne doch ganz zu ver-
schwinden. (Thürsüllung in Rue du fromage, Antwerpen.)
Die Jacobs muschel, welche Jacques Francquart,
vielleicht seinem Namen zu Liebe, fast todt hetzte, erhält
sich ebenfalls als häufiges Motiv im Rubensstil, nicht
bloß als Schmuck im Nischengewölbe, sondern auch
als Füllungsschmuck zwischen Giebelsegmenten; als unterer
oder oberer Abschluß an Eartouchen, Gedenktafeln rc.
Die steifen Obelisken, welche besonders Otto Van
Veen liebte, weichen jetzt Eandelabern, Blumen-
körben, Blumentöpfen und Urnen als Bekrönungs-
zicrden. Das wichtigste Füllungsornament ist schließlich
auch im Rubensstil, wie im Stil eines chans Vredeman,
die Eartouche, die aber, wie schon erwähnt, jetzt eine
wesentlich andere, sehr charakteristische Gestalt annimmt.
Abzusondern ist von ihr zunächst das eigentliche Wappen-
schild, das auch in dieser Periode oft ganz streng heral-
disch, in der Form eines oblongen, unten abgerundeten
Schildes, ohne Eartouchenbeiwerk vorkommt und zwar be-
sonders an Grabmälern oder über Portalen von Eapellen,

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um die Stifter zu bezeichnen rc. (Vergl. Fig. ^26.) Aber
auch das eigentliche Wappen wird oft noch von einer
Eartouche umrahmt, so am Scheldethor des Rubens rc.

Die Umwandlung des gerollten, ausgeschnittenen, durch-
brochenen, metall- oder holzartigen Eartouchenwerkes eines
Vredeman de Vries') in die lederartige, oft gallertartige,
weiche Masse des Rubensstils sehen wir schon am Orgel-
gehäuse von perzogenbusch sich vorbereiten. Es ließen
sich aus Titelblättern vom Anfang des ft?. Jahrhunderts
noch andere Uebergangsformen Nachweisen, ausgebildet er-
scheint aber die Eartouche schon in Jacques Francquart's
\<522 erschienenen Werke: »TeM tablettes et escussons
d'armes«, wovon wir oben einige Proben gaben. (Fig.

\5\ u. \52.) Die Mehrzahl der Eartouchen Iacquart's
zeigen ein gewölbtes oder
kugelartiges, bald in die
pöhe, bald in die Breite
gezogenes Mittelfeld, in
welches häufig die ge-
wellten Umrisse der Ein-
rahmung hineinragen.

Diese letztere besteht aus
zwei übereinanderliegen-
den Schichten einer wei-
chen, lederartigen, ge-
bogenen, gewellten, ge-
falteten Maste, deren
ausgeschnittene Ränder
sich umrollen. Die obere
Schicht umfaßt denSchild
unmittelbar, die untere
bildet eine Art hohler
pülse, welche den Schild
von hinten umhüllt und
nach vorn sich empor-
krempelt. Oben in der
Mitte bildet die äußere
pülse meist eine Doppel-
volute, welche nicht selten
an das jonische Eapitäl
oder an eine Muschel
erinnert und häufig mit
Masken rc. verziert ist.

Auch unten finden sich

Masken. Füllhörner schmiegen sich häufig an die Rund-
ungen des Rahmens, auch Figuren von Rindern, Satyrn rc.
umfassen bei einzelnen Eartouchen das Mittelfeld.

Einzelne Eartouchen zeigen auch als innere Ein-
rahmung ein hölzernes, architectonisch gegliedertes Rahmen-
werk. Zn der Art dieser Eartouchen ist auch, der Rahmen
am Wappen des Scheldethors von Rubens und cstuellin
(Abb. j2st); besonders charakteristisch in dieser Art ist ferner
die Titelblattcartouche des Brüsseler Malers Theodor
van Loon in dem \626 bei plantin in Antwerpen heraus-
gegebenen Werke: »ftrsderici de Narselaer ecquitis bega-
tus libri duo«.* 2) Etwas steifer und straffer, mehr in
glatten Flächen, eher aus polz als Leder gedacht, aber
doch nach denselben Principien angeordnet sind die Ear-

*) vergl. ftsendyck, Litt. C. PL 45.

2) ftsendyck, Litt. F. PI. 29.

(38. von der Fayade der Iesuiten-
kirche 5t. tttichel in Louvain, erbaut
(650—(666 von Guillaume ftesius.

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