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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 12
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Semper, Hans: Die kirchliche Holzdekoration Belgiens im Rubensstil und in seinen Ausläufern
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0117

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purgis zu Brügge, sowie des Gerome Duquesnoy in
Dendermonde, und die Einheit der Tradition und Schule,
welche diese und andere Aanzeln verbindet, geht aus einer
Vergleichung derselben deutlich hervor.

Auch hier ist die fein abgewogene, kräftig plastische
und zugleich zarte Wirkung bewundernswerth und getragen
von einer herrlichen Schnitztechnik, In den Motiven wie
in der prächtigen Ausführung bildet diese Aanzel ein
classisches Beispiel des Rubensstiles in der Decoration.
Rein andrer Barockstil zeigt dieses frische, blühende Leben,
diese Eleganz, diese künstlerische Feinheit und Empfindung,
frei von jedem Schwulst und Ueberladung!

Dieser Aanzel sehr verwandt ist diejenige in der
Nicolauskirche zu Gent, welche 1670 von Gery picq
in Gent hergestellt wurde. Ihr achtseitiger Stand wird
nach unten hin von vier geschnörkelten, mit Ranken ge-
schmückten Füßen gestützt, während nach oben von dem-
selben wieder vier Volutenconsolen mit den Röpsen
der Evangelistensymbole (wie bei der vorgenannten
Aanzel) ausgehen und die Brüstung stützen. Diese ist am
untern Rand mit Festons, an den Ecken mit Putten als Sym-
bolen der vier Elemente, an den Seiten mit Tartouchen
geschmückt, worin die Reliefbüsten der vierAirchen-
väter in Vorderansicht dargestellt sind. lieber ihnen sind
Seraphköpfe angebracht.

Besonders reich ist auch hier das durchbrochene
Rankenwerk mit Putten dazwischen, an den zwei seit-
lichen Treppengeländern mit classisch profilirten Einrah-
mungen. Auch der Baldachin, den zwei schwebende
posaunenengehscheinbar tragen, ist an seinen Seitenflächen
gebälkartig schön profilirt und an drei überhöhten Stellen
mit Paaren von Seraphköpfen verziert. Wir sehen also
an allen diesen Aanzeln gewisse Grundelemente des Auf-
baues und der Decoration wiederkehren, welche den Zu-
sammenhang derselben deutlich beweisen.

Den geschilderten Typen schließen sich ferner im
Wesentlichen an die polzkanzeln in S. Martin zu
Aortryk (Tourtray), zu !S. Jacob in Brügge, so-
wie in: Grand Beguinage zu Riech ein.

Allmählich aber sängt der geschilderte Typus. (der
sich bis in die 70er Jahre des 17. Jahrhunderts und
noch länger fast unverändert erhielt und gewissermaßen
kanonisch geworden war) doch an, sich zu lockern und in
neue Gestaltungen überzugehen.

Als eine der Neuerungen, welche den alten Typus
erschütterten, ist diejenige zu bezeichnen, welche Mathias
van Beveren von Antwerpen (\650—s6ß0), ein Schüler
des Auellinus-Schülers Peter Berbruggen d. A., an seiner
Aanzel in der Reccolektenkirche zu Antwerpen ein-
führte, indem er nämlich an Stelle der bisher üblichen
großen allegorischen oder Engelfiguren am Fuß
der Aanzel den hl. Franciscus von Engeln umgeben
anbrachte. Dieser Schritt von den decorativ verwendeten,
symmetrisch gruppirten Allegorien oder heiligen
Vertretern eines Gedankens zur handelnden Figur der
peiligenlegende trug dazu bei, den streng decorativ-
symbolischen Thar'akter der belgischen Aanzeln des
\7. Jahrhunderts allmählich in (den naturalistischen
Stil des 18. Jahrhunderts überzuleiten.

Eine Neuerung, welche im 18. Jahrhundert als
fruchtbares Motiv weiter ausgebildet und ausgebeutet
wurde, findet sich auch an der sehr reichen Barockkanzel
der Airche S. Soup zu Namur, die sich besonders
durch das schön durchbrochne Geländer der Treppe aus-
zeichnet, welche sich hier um den Pfeiler windet, an den die
Aanzel sich anlehnt. Auf denr wie meist von großen Engeln
getragenen Schalldeckel lagern nicht nur decorative Putten,
sondern erhebt sich noch zu oberst die mächtige Statue
des Auferstandenen, hierdurch, wie durch ein pochrelies
mit Jesus, der die Aindlein zu sich kommen läßt, an der
Vorderseite der Aanzelbrüstung, bemächtigt sich das er

;50. Aanzel in der Notre-Damc-Airche zu Antwerpen.

zählende, figurale Element voit selbständiger, nicht bloß deco-
rativ-symbolischer Bedeutung auch des oberen Aufbaues, was
wieder einen Schritt weiter zu einem neuen Stil hin bedeutet.

Im 18. Jahrhundert gelangten die realistisch erzäh-
lenden Figurengruppen aus der Legende oder peiligen
Schrift völlig zur Herrschaft und verbündeten sich all-
mählich mit einen: Naturalismus auch im Vrna-
ment, der den architektonisch - decorativen Tharakter der
Aanzeln fast völlig beseitigt.

Die Uebergangsperiode, welche aus dem Rubens-
stil in den Naturalismus des 18. Jahrhunderts hin-
übersührt, ist noch durch eine Reihe zum Theil sehr schöner
Werke vertreten.

Dahin gehört die Aanzel von Notre Dame in pal,
wo am Fuß der Aanzel eine überlebensgroße Gruppe der

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Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

*896. Heft \2. (Bg. 2.)

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