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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

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Heft 8 (2. Januarheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0106

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feindliche Ministerkriselei, Anleihe-
und Rekrutenschwierigkeit phanta-
stisch zum Friedensboten ausrufen.

So kommt es auch, daß man in
aller Nuhe und Angeduld hier drin-
nen Fragen aufwirft, die über den
dereinstigen Friedenstag weit hin-
ausgreifen, daß man es unternimmt,
Richtlinien für eine Zukunft festzu-
legen, die noch gar keine Gegenwart
hat. Das heißt Radien zu einem
Kreise ohne Mittelpunkt zeichnen!
Denn deutsches Wesen und deutsche
Vergangenheit schlechthin brauchen
nicht, so innig wir's auch hoffen,
genau auf den imaginären Punkt
zu zielen, den uns der Frieden ein-
mal als neuen Anfang unsrer Ge-
schichte bestimmen wird.

Besonders innerhalb der Künste
fackelt die Angeduld hin und her
und da besonders in den Köpfen,
die vor dem Kriege aus irgendwel-
chen Gründen nichts gegolten haben.
Definitionen der Kunst sind zahllos;
und weil gar vielerlei darunter ver-
standen wird und mit schönen dunk-
!en Worten sogar allerlei als Kunst
zu „beweisen" ist, so möchte der und
jener recht bald eine Erfolgsversiche-
rung auf seine Definition ab-
schließen und ein großes parteiliches
Warenhaus errichten, aus dem dann
die ganze deutsche Welt die allein-
echte Kunst bequem beziehen soll.

Aber Lausende von Künstlern und
Kunstpionieren liegen seit Iahren
zwischen Granatlöchern versenkt,
und ihre Stimme könnte durch den
Lärm der Geschütze den Weg in die
Heimat auch dann nicht finden, wenn
sie weniger mit dem Feinde zu tun
HLtten. Die Achtung, die Ehrfurcht
vor diesen Männern müßte es schon
verbieten, über ihre Köpfe hinweg
Kunstpolitik zu treiben, bei der auch
sie Stimme haben müssen. Noch
mehr aber die Einsicht, daß die Ge-
genwart eines Krieges mit der Kunst
überhaupt keine grmrdsätzlichen Be-
ziehungen hat. Rrsachen, Mittel und

Ziele des Krieges — Arsachen,
Mittel und Ziele der Kunst: wer
darf da, wenn er die Phrase haßt,
Parallelen ziehen!

Liederliche Operetten „mit feld-
grauem Linschlag", irgendwie in
Dialoge gebrachte Iammerbilder aus
dem bedrängten Ostpreußen, barito-
nale Entladungen mit dem wohlfei-
len Kehrreim: „Solang der Himmel
blau ist, kann Deutschland nicht ver-
gehn" — das sind wirtschaftliche und
meinetwegen wohltätige Angelegen-
heiten. Selbst die neuen malerischen
Gebilde guter Künstler — ausmar-
schierende Soldaten, zerschossene Dör-
fer, verendende Pferde —, selbst die
feinsten dichterischen Stücke aus den
ersten Wochen des Feldzugs (wie
rein und stark ihr Eindruck auch sein
mag) hängen eben nur stofflich mit
der Gefahr zusammen, in der wir
leben. Ihre Gestaltung ist nirgends
von der friedensmäßigen verschieden.
Naturnähe oder Naturferne, Vor-
herrschen der realistischen Einzelheit
oder der stilisierenden Kraft — ganz
und gar wie vor drei Iahren!
Keine neue Form ist gefunden wor-
den, kein Dilettant plötzlich zum
Künstler aufgerückt. Nicht einmal
die allgemeine Wellenbewegung
der Kunstentwicklung, von der Linie
zur Farbe, von der Fläche zur
Tiefe, hat Tal und Berg getauscht.
Selbst Heinrich Lersch, der Kessel-
schmied und Dichter, hatte sein Talent
schon vorher entdeckt; ich besitze ein
Bändchen Verse von ihm, das er
mir im Frühjahr zugeschickt hat°
Wohl aber kann ich mir denken,
daß in einigen siebzehnjährigen
Freiwilligen draußen, deren künstle-
rische Keimzelle sich selbst heute noch
nicht in Fruchtbarkeit geteilt hat,
und daß in den Neun- und Zehn-
jährigen daheim, die täglich den
Heeresbericht lesen, nach ein, zwei
Iahrfünften der Krieg künstlerisch zrr
rumoren anfangen werde. Diese
wirkliche Kriegsfrucht wird eines
 
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