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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

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Heft 8 (2. Januarheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0107

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Herbstes auf uus nrederfallen> ohne
daß wir ahnen, von wannen. So
kam (88q. Detlev von Liliencron mit
seiner Feldpost von (866 und (870
zu uns — niemand hatte sich dessen
versehen.

Seien wir geduldig und lassen
wir dieser, sich in tief verschleierter
Stille vorbereitenden Kunst die Bahn
frei, die sie sich endlich doch er-
zwänge. Kanonische Maße kann
man dem Wäsche- und Milchver-
käufer aufdrängen, nicht aber einer
jungen, einer eingeborenen Kunst.

Auch die recht bescheidene Hoff-
nung ist zuschanden geworden, daß
weniger deutsche Maler pariserisch
malen möchten als früher, und daß
die Käufer aus vaterländischen Ge-
fühlen die französische Kunst vor-
läufig hintansetzten. Ansre Lyrik
sucht ebenfalls noch immer gerne
geistige und erotische Verworrenhei-
ten auf, obgleich Tag für Tag der
Sieg der klaren Tat und der Enthalt-
samkeit mit tausend Zungen redet.
Ich meine: wer heute bereits mit-
spricht, wird seine Weise kaum noch
wesentlich ändern, und so wird seine
Kunst kurz nach dem Kriege nicht
um ein Haar deutscher sein als seine
Kunst von heute und von M3.

Hermann der Cherusker hat tau-
send Iahre auf seinen Künstler war-
ten müssen, Götz von Berlichingen
hat ihn schon nach einem Viertel
dieser Zeit gefunden; Luther ist
ohne dichterische Auferstehung ge-
blieben, der Große Kurfürst ist zu
verschiedenen Aeiten aus Schlüter
und Kleist neu hervorgewachsen; aus
Friedrichs II. königlicher Seele
schrieb freilich Lessing schon bald nach
dem Siebenjährigen Kriege den köst-
lichen Erlösungsbrief an den Major
von Tellheim. Aber wann wird der
Dichter kommen, der zum marmor-
nen Hamburger Bismarck das
Drama schreibt! And was weiß denn
der Einzelne unter uns von dem
<hesamterlebnis „Krieg", den

doch viele Millionen gemeinsam
führen! Vorderhand sieht er den
Krieg durch Tagesberichte und Anek-
doten, die fast gleichlaufende Stra-
ßen nebeneinanderher ziehen. Ihr
künstlerischer Schnittpunkt kann wie
ihr mathematischer in der Rnend-
lichkeit liegen! Hoffen wir auf ein
Sonntagskind, das ihn findet, so-
lange unsre kämpfenden Geschlechler
noch blühen! Diesem Sonntagskind
aber durch Rundfragen Anterricht
über sich selbst erteilen? Soll es uns
denn auslachen? Es soll uns doch
lieben!

Ferdinand Gregori

„Die Stunde des Martin
Jochner"

inen Roman „aus der vorletz-
ten Zeit^ hat Hermann Kes-
s e r das Buch genannt, dessen Titel
oben steht. Die Zeit unmittelbar
vor dem Kriege ist damit gemeint,
die heute so Viele geistig im Banne
hält, als müßten aus ihrem We-
sen heraus sich die Grundzüge einer
besseren Zukunft herausdeuten lassen.

Doch zuvor: wer ist Hermann Kes-
ser? Einer jener Dichter, auf welche
seit einiger Zeit die Kritik aufmerk-
samer ist, als annoch die deutsche
Leserschaft. Drei Werke von ihm
liegen seit längerem vor. Die Tra-
gödie „Kaiserin Messalina" (Hype-
rion-Verlag, Berlin) als Zeugnis
sehr ernsten künstlerischen Formwil-
lens, beweglicher Sprachbeherrschung
und großzügiger Sicherheit im An-
schauen einer fremdartigenGedanken-
welt. Ein Band „Novellen" (Huber,
Frauenfeld), der neben einer von
C. F. Meyer abhängigen, geschlos-
sen-starken geschichtlichen Lrzählung
einige nach Inhalt und Form stu-
dienartige, an „Problemen" reiche
Stücke birgt; auch hier zeigt sich eine
starke Fähigkeit, mehr: dichterische
Aufgaben zu lösen, als aus vollem
Erlebnisreichtum blühende Werke zu
 
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