Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 30,2.1917

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1917)
DOI Artikel:
Hübner, Friedrich Markus: Berichten und Ausdrücken
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14296#0139

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
abgegeben wird. Den Menschen erhält dann nur dre Form einer Nebenexistenz,
eines zerstreuten, linkischen, gleichgültigen Epilogs. Man sucht sich zu
retten, indem man sich einer künstlichen „Haltung" einzwangt. Der Dandy,
der Gent, „der^ Offizier, „der^ Afsessor, derlei Gattungs«Verkleidungen
sollen ersetzen, was an rechtmäßiger Namhaftigkeit dem männlichen, ein-
samen und losgelösten Ich abhanden kam.

G

^«-r^as den deutschen Menschen betrifft, so war gegen heute sein Ich früher
^^bestimmbarer und handgreiflicher. Ls scheint, daß der Dreißigjährige
Krieg auch diesen geheimsten Lebensstrang schwer verleht hat. Die große
Epoche der gotischen Baukunst, des Minnesangs, der Malerei um Dürer
und seine Genossen zeigen uns ein Leben, zeigen uns Kleidertrachten,
Gesichtschnitte, tzeimwesen und tzausrat, worin die ausdrückende und ent-
wickelte Physiognomie des einzelnen wie der Rasse Lhnlich wohlgeraten
leuchtet, wie im antiken Griechenland oder im Italien des Dante und
Boccaccio.

Aber von da ab wurde es allmählich beinahe ein Merkmal des Deut-
fchen, physiognomielos zu sein. Die Gesichter ließen nicht mehr
hindurch, was die Seele dachte; Geschlecht und Sinnlichkeit gingen inS
Verborgene; das öffentliche Leben, Politik, Glaubenskämpfe übertrug man
in abstrakte und unsichtbare tzöhen. Der Mensch mit seinen Meinungen,
seinem Geschmack, seinen Freund- und Feindschaften gab im gewissen
Sinne nie mehr als Nachberichte einer Tiefe, die selber Oberfläche zu
werden sich nicht vortraute. Das zeigte sich bis in die Redewendungen.
die tzandbewegungen, die unsichere, eckige, nichtssagende Art, wie unsere
Körper Kleid und Schuh ausfüllen. Wir wurden so sehr zivilisiert, datz
eine kräftige und bewußte GebLrde, wenn wir sie einmal wagten, nur zu
leicht wie peinliche Kraftmeierei herauskam. Die Form des inneren Cha-
rakters bürgt nicht für den Einsatz einer anschaulich vorgetragenen, naiven
Leiblichkeit. Beides ließ einander im Stich.

G

«rttas gänzlich verloren schien, hat plötzlich der Krieg in einem unge«
^^heuren Ausmaße wiedererzeugt. Man kann sagen, daß der reinen
Summe nach eine solche Kraft und Aberfülle völkischen Selbstausdrucks
auf Erden noch nie da war. ^llnsere Feinde verwandelten mit einem
Schlage eine Gesamtheit von Personen, deren Leben bisher nur als ein
Feuilleton ablief, zu einer einzigen glühenden Geburt von Tatkraft,
Willen, Ernst und Vaterlandssinn. Wie sicher, stolz und gefaßt verlief
die Mobilmachung, verlief die wirtschaftliche Amordnung, verlief die Ab-
wehr auf den Schlachtfeldern von Flandern, Ostpreußen, Galizien! Wie
genau weiß jetzt die Rasse, womit von jeder andern sie sich abgrenzt, worin
die Pflicht liegt, die durch eine unzweideutige Zukunft ihr auferlegt wirdl
Der Deutsche erblickte sich als Anschauung. Und sein Wille ist, diese
Anschauung nur immer strikter, härter, dauernder nach Außen und Innen
bei sich aufzurichten.

Auf die Dauer kommt es an. Darum muß die erste und ganz alk*
gemeine Lehre dieser Kriegstage sein, daß alle auch im Frieden ihr
Tagewerk, ihr Denken und Treiben mit einer ähnlichen Zweckbewußtheit
verrichten, wie das jetzt im Lande geschieht. Weniger denn je gilt es,
bloß Meinungen zu haben, Angelesenes weiterzusprechen, gedankenlos
 
Annotationen