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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 13.1868

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https://doi.org/10.11588/diglit.13560#0177

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162

Kunstgeschichte und Antiquitäten.

Die HronZe-Ilntue

eines römischen DfmiGen, gefunden im Difjein Gei üöttingen untcrfjnCG 3>nnfcn, nufgeftdlt in der VerGrndungs-

Zallerie der königlichen ZUusee» zu ZZerlin. (Schluß.)

ngefochten kann diese Ansicht ohne Zweifel werden: es ist
kein Schriftzeichen, keine Zahl, kein Postament mit den
hier oft befindlichen allegorischen, erläuternden Figuren ge-
funden, andererseits aber besitzen wir in den historischen

Aufzeichnungen für die von uns gefundenen Kunstwerke
so geringen Anhalt, daß Das, was die Geschichte uns
für den vorliegenden Fall überliefert, als wohl der Mühe genauerer
Untersuchung werth erscheint.

Bei der Betrachtung dieses Bildwerkes drängt sich mir aber noch
eine andere Idee auf, die ich versuchen werde, in Nachstehendem dar-
zulegen. In der Stellung des Knaben liegt offenbar etwas Eigenthüm-
liches, und wenn man die Statue für sich betrachtet, geradezu etwas Ab-
normes und Unnatürliches. Es ist ein Kind, welches hier dargestellt ist
und welches einen Gegenstand in der Hand hält; nach Kinderart würde
es denselben entweder neugierig betrachten, oder wenn es rücksichtlich
der Acquisition kein reines Gewissen hätte, ihn scheu zu verbergen suchen,
jedenfalls würde die ganze Stellung in einem Zusammenhänge zu
dem getragenen Gegenstände stehen, was anscheinend nicht der Fall ist.
Daß wir cs hier andererseits nicht mit einem auf den religiösen Kultus
bezüglichen Bildwerke zu thuu haben, welches in der linken Hand ein
Attribut gehalten hat, habe ich wohl nicht nöthig, näher zu er-
läutern. Der Knabe schreite! anfgerichtet vorwärts, so aufgerichtet, daß
er es nicht gut mehr sein könnte, ohne unschön zu werden; den rech-
ten Arm hat er vorwärts gestreckt, das sieht man an dem Stumpf,
und ich glaube, daß er damit eine Geste macht, denn er sieht offen-
bar Jemand an, der vor ihm steht und schreitet auf denselben zu:
hierdurch ist die anscheinende Unaufmerksamkeit für den Gegenstand,
den er trägt, erklärlich.

Aus dieser eigenthümlichen Stellung glaube ich entnehmen zu
müssen, daß das Bildwerk nur ein Theil aus einer Gruppe ist, und
bin, in Rücksicht auf die obige historische Auseinandersetzung, der
Ueberzeugung, daß vor dieser vor uns befindlichen Statue die der
Marcia, vielleicht auch die des Lätus gestanden hat, und werden
diese Bildwerke mit dem Postamente wahrscheinlich noch an derselben
Stelle im Rheine begraben liegen, wo das Bild des Knaben gefun-
den wurde; die Nieten, mit welchen die Füße auf dem Postamente
standen, haben sich gelöst, die Statue lag oben auf und wurde durch
das Wasser blosgelegt, vielleicht fügt der glückliche Zufall oder —
was viel schöner wäre — die Fürsorge bemittelter Kunstfreunde oder
der Regierung, daß dort Nachforschungen, Sondirungen rc., vielleicht
Baggerungen angestellt würden und wir in Besitz der noch dort
ruhenden Schätze kommen, denn daß dergleichen noch daselbst vor-
handen sind, scheint mir fast unzweifelhaft.

Was nun das Alter des Kunstwerkes betrifft, so würde das-
selbe etwa in das Jahr 193—194 n. Ehr. zu setzen sein; wer von
den damals lebenden Künstlern es etwa gefertigt haben könnte, dar-
über Vermuthungen aufzustellen, fühle ich mich nicht berufen.' —
Außerdem fehlt mir jeder Anhalt rücksichtlich der Art und Ver-
anlassung, durch welche das genannte Bildwerk in diese Gegend
gekommen. Es ist mir nur bekannt, was u. A. auch Tacitus angiebt,
daß Tanten und der oberhalb des Ortes gelegene, von dem Städtchen
aus sanft ansteigende Berg, das römische Standlagcr, Castra vetera
genannt, beherbergte. Dieses wurde aber nach dem genannten, durch-
aus zuverlässigen Schriftsteller im I. 71 n. Ehr. von dem bata-
vischen Heerführer Claudius Civilis eingenommen und zerstört. Ob

gerade an derselben Stelle in den späteren Heereszügen, besonders
unter Trajan, hier ein Lager stand, weiß ich nicht, daß aber dieses
Bildwerk nur im Gefolge eines großen, vornehmen Mannes dorthin
gelangt sein kann, ist wohl sicher; wer eS war, dürfte wohl schwer
festzustellen sein.

Ich halte cs nun für nöthig, noch Einiges zu sagen über die-
jenigen Ansichten, welche in Betreff dieser Statue laut geworden sind.
Bor längerer Zeit erschien, cs ist mir nicht mehr genau erinnerlich
in welcher Zeitschrift, ein Aufsatz, in dem die Ansicht zu begrün-
den versucht wurde, die fragliche Statue stelle einen „Wagenlenker"
vor. Es kommt mir nicht in den Sinn, die Ansicht irgend Je-
mandes als eine falsche zu bezeichnen, um so weniger, als es mir nicht
gelang, den betreffenden Artikel mir bis jetzt zu verschaffen, und
als meine Ansicht ja auch nur auf einer Kombination von Ver-
muthungen beruht; dennoch sei es mir verstattet, meine Bedenken
gegen diese Ansicht kurz hier darzulegen. Zunächst bleibe ich der
Meinung, daß der Künstler hier offenbar ein Kind dargestellt hat,
das sieht man an den kindlichen, weichen Formen und im Ausdruck
des Gesichts. Ein solches Alter eignet sich sehr wenig dazu, die
straffe, regelmäßige Muskulatur eines, die Zügel führenden Lenkers
hervortreten zu lassen. Von dieser Muskulatur eines beim Führen
von Pferden angestrengten Menschen sieht man hier aber absolut
Nichts; die Muskeln des ganzen Körpers drücken die fast vollstän-
dige Ruhe aus, während bei einiger Anstrengung in dieser Beschäf-
tigung ein stärkeres Einzieheu des Rückgrates in der Hüftenhöhe und
ein stärkeres Heraustreten der Muskeln in der Wcichengegend un-
vermeidlich wäre. Ferner ist die Stellung der Füße für diese Be-
schäftigung sehr ungünstig, der rechte Fuß nach vorn platt auf den
Boden gestellt, giebt für einen Lenker eine schlechte, unbequeme Stel-
lung, ich meine, daß der linke Fuß leicht ans den Wagenrand ge-
stellt, der rechte, rückwärts davon fest eingesetzt, eine natürlichere Po-
sition geben müsse; mir drängt sich wiederholt die Ueberzeugung auf,
daß die ganze Figur im Vorwärtsschreiteu begriffen ist, und daß sie
auf Jemand zuschreitet, den sie ansieht.

Ferner aber würde der Künstler, um die rasche Bewegung des
Wagens zu markiren, wahrscheinlich die Statue mit einem vielleicht
über die Schultern geworfenen Stück Zeug drapirt haben, was durch
seine Falten das schnelle Dahinfahrcn des Wagens ausgedrückt hätte;
ich kann mir nicht denken, daß er ein solch bequemes Mittel zur Ver-
deutlichung seiner Idee verschmäht hätte. Endlich aber flößt mir
Bedenken gegen diese genannte Ansicht das Schmücken des Haars
mit einem Kranze, ein; ein solcher Schmuck bei Wagenlenkeru scheint
mir doch zweifelhaft, und glaube ich nicht, daß sich hierfür Angaben
in den uns überkommenen Schriften finden, die uns zu solcher An-
nahme berechtigen; dagegen erinnere ich mich aus Juvenal oder Mar-
tial, daß diese Art von Kranz der Schmuck der römischen Lustknaben
gewesen ist, auch habe ich diese letztere Ansicht von Archäologen ver-
treten gehört.

Ich schließe hiermit meine Darlegungen; ich habe cs gcwisscr-
maaßen für meine Pflicht gehalten, die in mir entstandene Ueberzeu-
gung offenbar werden zu lassen. Sollte sie sich als richtig erwei-
sen, so werde ich sehr glücklich in dem Gedanken sein, der Forschung
einen kleinen Dienst erwiesen zu haben — sollte sie sich als falsch
erweisen, so hat sie vielleicht das Verdienst, nähere Untersuchungen
anzuregen. v.
 
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