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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Utitz, Emil: Vom Wert der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0017

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VOM WERT DER KUNST

VON PRIVATDOZENT DR. EMIL UTITZ— ROSTOCK.

I.

Viele Millionen opfert der Staat für Kunst-
Ankäufe und Kunstakademien; wohl-
habende Kunstfreunde zahlen häufig für ein
Bildchen oder eine Statuette Summen, von
denen eine ganze Familie sorgenlos Jahre lang
leben könnte. Wieviel Armut, Sorge, Ver-
zweiflung, Jammer vermöchte durch die reichen
Mittel gelindert werden, die der Kunst zu gute
kommen! Sollte nicht vorerst für das nackte
Leben gesorgt werden, bevor man daran geht,
dieses Leben mit der sonnigen Wärme der
Schönheit zu umkleiden!

Es ist dies ein wahrhaft gräßlicher Vorwurf,
wenn der Schrei der Not und Verzweiflung
schrill und scharf hineingellt in die holden,
rauschenden Harmonien, mit denen uns die
Kunst beglückt. Und der Gedanke an die Be-
drückten und Armen, an die vom Schicksal
Verstoßenen, kann und muß wohl jeden er-
greifen und beklemmen, ihn aufrütteln aus der
behaghchen Ruhe seines Seins. Aber trotzdem
dürfen uns Mitleid und Mitgefühl nicht irre
machen im energischen Kampfe für die idealen
Kulturguter die nicht unmittelbar dem Lebens-
unterhalte dienen. Denn eine innere Entwicke-
lung der Menschheit, die wahrhaft als ein Fort-
schritt angesprochen werden darf, ist nur mög-
lich durch die Segnungen, welche Religion,

Wissenschaft und Kunst darbieten. Würden
wir diese Mächte aus dem Leben streichen,
würden wir dies Leben nur einstellen auf prak-
tische Nutzarbeiten, so wäre es nicht lebens-
wert und nicht menschenwürdig. Erst wenn
wir uns über die Forderungen des Alltags hinaus
erheben, erst wenn wir unsere Blicke weiter
schweifen lassen als über den kleinen Inter-
essenkreis, in den uns das Leben hineingestellt
hat, finden wir die Wege, die zu allseitigem,
reifem und hohem Menschentum leiten. Hier
können erst die bangen Fragen nach Wert und
Sinn des Lebens überhaupt ihre Antwort fin-
den ; hier erblühen erst die edlen und weihe-
vollen Freuden, die wir als herrlichste Früchte
vom Baume des Lebens pflücken. Nicht die
Gier nach Luxus, nach Vergnügungssucht und
nicht Gefühlshunger treiben uns in jene Welten,
sondern der in uns liegende Drang nach den
Gipfeln des Daseins, der Trieb, uns zu erhöhen
und zu erheben über die Notdurft des Tages,
um von lichterer, reinerer Warte herab Aus-
schau zu halten über die Weiten und Tiefen
des Lebens. Und wenn sich uns durch die
Bildwerke der Kunst der beseligende Zauber
gewaltiger, schöpferischer Persönlichkeiten
offenbart, erstarken wir selbst angesichts dieser
Entfaltung der großen Geberden eines mäch-

1911. VII. 1.

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