Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

DOI Artikel:
Scheffers, Otto: Große und kleine Kontraste
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0436

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ROBERT ENGELS —MÜNCHEN.

Glasgemälde. Johanniskirche zu Breslau.

GROSSE UND KLEINE KONTRASTE.

VON OTTO SCHEFFERS—DESSAU.

Es gibt in der Welt nichts Wirkungsvolles,
Entzückendes, Schönes, das nicht in sich
Wechsel, Kontraste enthielte oder als Ganzes
in einem gewissen Gegensatz zu andern uns
bekannten Dingen, Erscheinungen, Handlungen
oder Zuständen stände. Es ist immer der Kon-
trast, was uns zunächst auffällt und uns zwingt,
für eine Weile die Aufmerksamkeit auf irgend
etwas einzustellen. Von der Art und Weise,
w i e der Kontrast zum Ausdruck kommt, hängt
es weiterhin ab, ob uns etwas mißfällt, gleich-
gültig ist oder gefällt. Ist der Kontrast zu groß,
macht es uns zu viel Mühe, uns in ihn hinein-
zufühlen, den Geistessprung vom Alten zum
Neuen auszuführen, so empfinden wir die
Gegenüberstellung als etwas Unschönes; ist er
zu klein, so ruft er überhaupt keine Seelen-
erregung in uns hervor. Nur wenn beide mit
einander kontrastierenden Teile in einem sol-
chen gegenseitigen Verhältnis stehen, daß sie
das uns angeborene Bedürfnis nach Wechsel
des Eindrucks durchaus befriedigen, zugleich
aber dem Hinübergleiten des Geistes vom Alten
zum Neuen keine nennenswerten Hindernisse
entgegenstellen, fühlen wir uns in jeder Hin-
sicht befriedigt. Dieses Hinübergleiten ge-
schieht immer dann sanft und unmerklich, wenn

geistige Beziehungen zwischen beiden Teilen
vorhanden sind oder wenn wir an den betref-
fenden Kontrast, an die besondere Form seines
Auftretens, durch öftere Wiederholung des-
selben schon gewöhnt sind.

Eine merkwürdige Tatsache ist es nun, daß
wir den in Natur und Kunst auf uns einstür-
menden Kontrastverhältnissen nicht immer mit
gleichen Empfindungen entgegentreten, daß wir
bald mehr für große, bald mehr für kleine Kon-
trastverhältnisse empfänglich sind. Auch diese
Erscheinung entspringt natürlich, wie jeder Stil,
jede Mode, dem Bedürfnis nach Wechsel des
Eindrucks.

Zur Zeit des Jugendstiles liebten wir auffällige
Kontraste in Form und Farbe. Es sei nur an
die malerischen Villenanlagen erinnert, an die
dekorativen Entwürfe für Buchornament, Pla-
kate, Tapeten von Christiansen und Paul Bürck,
an Van de Veldes und Pankoks Linienspiele,
an die Gegenüberstellung grün gebeizter Möbel
und roter Tapeten, an die Vorliebe für stark-
farbige Kunstverglasungen. Ganz anders müssen
die Griechen empfunden haben. In der grie-
chischen Kunst gibt es nur drei Haupttypen für
Säulen, kaum acht für Gefäße, sehr wenige für
die Grundrißanordnung der Wohnhäuser, für

422
 
Annotationen