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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Utitz, Emil: Vom Wert der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0018

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Dr. Emil Utitz—Rostock :

tigen Seins. Die klägliche Armseligkeit des
Tages fällt von uns ab, die Stimmen des ge-
wöhnlichen Lebens verstummen, und uns um-
brausen in vollen, hallenden Akkorden die Ge-
sänge einer anderen Welt, deren Linien reiner
und strenger, deren Farben kühner und leuch-
tender, die uns verwandt ist, da die stillen
Heimlichkeiten unserer Seele uns entgegen-
klingen, und in der alle Fragen und Rätsel
schweigen, wenn die wundervolle Weihe ge-
nußtiefer Hingegebenheit uns in Banden hält.

Aber den, der diese wonnigen Träume aus-
spinnt und so die Süße leuchtender Stunden
im Erinnern auskostet, kann ein nagender Zwei-
fel wecken und erschrecken: gelten nicht viel-
leicht jene Wirkungen der Kunst nur für eine
ganz kleine Minderheit, während die große
Masse vor den verschlossenen Pforten des Pa-
radieses steht. Kann denn die Kunst in wahr-
stem Sinne des Wortes Volkseigentum wer-
den? Manchem mag es ja einen eigenen Reiz
bedeuten, sich der Gruppe der Auserwählten
zurechnen zu dürfen, die allein diese Freuden
teilen. Aber ich glaube doch, daß die Mehrzahl
sehnlichst wünscht, die selbst gewonnenen mäch-
tigen Lebensförderungen und Lebenswerte in
weitere Kreise zu tragen, nicht die Kunst zu
einem Mysterium für Eingeweihte zu stempeln,
sondern zu einem Kulturgut, zu einem Kultur-
bollwerk der ganzen Nation. Aber muß es nicht
bei diesem Wunsche bleiben? fragt wieder der

Zweifel. Ist es denn überhaupt möglich? Nicht
die Tatsache soll bestritten werden, daß einheit-
liche und hochstehende künstlerische Kulturen
erblühen können; aber werden sie dann nicht
vielleicht nur von wenigen getragen, während
die anderen sie eben lediglich mitmachen, wie
sie auch den tollsten Modenarrheiten Gefolg-
schaft leisten. Aber das ist doch nur etwas
Äußerliches, während Kunsterleben eine ganz
innerliche Angelegenheit bedeutet.

Wir können vielleicht leichter diese Frage
beantworten, wenn wir zum Vergleich die Wis-
senschaft heranziehen. Gewisse Errungenschaf-
ten der Wissenschaft sind und müssen Gemein-
gut des Volkes werden, andere aber können nur
von einem kleinen Kreise voll erfaßt und ge-
würdigt werden. Gleiches gilt nun von der Kunst!
Manche ihrer Leistungen vermögen nur wenigen
ganz zu teil zu werden. „Du gleichst dem Geist,
den Du begreifst!" Dieser Satz hat auch hier
seine volle Geltung. Die Werte, welche uns ein
Kunstwerk entgegenträgt, können nur dann
vollen, nachklingenden Widerhall finden, wenn
sie auf einen günstigen Boden fallen, der ge-
eignet ist, diese Werte aufzunehmen. Andere
Werke stellen an den Empfangenden keine so
hohen Anforderungen, und sie sind es dann,
die sich an weitere Kreise wenden, sie sind es,
die auch das Leben des Einfacheren mit Strah-
lenlauterer Schönheit vergolden können. Daraus
ergeben sich nun mannigfache Folgerungen, auf

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