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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Michel, Wilhelm: Heinrich von Zügel
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0023

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HEINRICH VON ZÜGEL.

»Schaf wasche«

HEINRICH VON ZÜGEL

VON WILHELM MICHEL.

Zügel und Haider haben nebeneinander die
Wintersezession beherrscht — zwei Ge-
stalten von gleicher Kraft, aber im Wesen so
verschieden wie Tag und Nacht, wie Ausdeh-
nung und Verinnerlichung. Der Weg von Zügel
zu Haider ist ein Weg aus der Sonne in das
Dunkel, aus Heiterkeit und Sinnlichkeit in Nach-
denken und Schwermut. So betrat keiner des
andern Kreis, und doch wurde die Ausstellungs-
wirkung des einen der des andern dienstbar.
In unserem Falle, da es sich um Zügel handelt,
bedeutet das, daß sich Zügels sinnenkräftige,
positive Männlichkeit scharf und effektvoll von
Haiders Tiefe und Weltfremdheit abhob.

Ich habe immer darüber staunen müssen,
welch eine sonderbare, aufklärende Kraft sol-
chen Ausstellungen innewohnt, deren einzelne
Werke doch dem Kunstfreunde schon alle be-
kannt sind. Fast immer macht man dabei neue
Entdeckungen und gelangt zur Einsicht in Zu-
sammenhänge, die eben nur bei solchen Ge-
legenheiten zu erlangen sind.

Die große Entdeckung der Zügeischen Kol-
lektiv-Ausstellung war der ältere Zügel, der
Meister jener schlechthin vollendeten Tierstu-
dien, von denen wir einige hier wiedergeben.
Der Name Zügel ist heute nicht nur der Name
eines großen Könners. Er bezeichnet auch ein
Programm, eine ganz bestimmte moderne Art

malerischer Weltanschauung. „Zügel" — das
bedeutet nach dem heutigen „Kursstande" die
lebhafte Entzweiung zwischen Licht und Schat-
ten, das optische Drama, die dialektische Aus-
einandersetzung zwischen der Sonne und dem
Dunkel, demonstriert an den großen, ruhevollen
Flächen massiger Ochsenleiber oder an den
Vließen zusammengedrängter Schafherden.

Und nun begegnen wir hier den Anfängen
dieser Malerei; frömmste Versenkung in das
zeichnerische Detail, unendlich liebevolle Wie-
dergabe jeder Form in einem feinen, stillen,
neutralen Lichte. Und wir erkennen sogleich
den Zusammenhang, in dem diese feine, vor-
nehme und im besten Sinne poetische Malerei
mit der großen malerischen Kultur steht, die
München in den 70er und 80er Jahren des
vorigen Jahrhunderts besaß.

Es wäre sicherlich verfehlt, den früheren
Zügel gegen den späteren und den heutigen
Zügel auszuspielen. Die künstlerischen Zusam-
menhänge zwischen beiden sind offenbar: hier
wie dort vor allem ein psychologisches Moment,
nämlich die tiefe, innige, wenn auch jeder
Empfindelei bare Liebe zum Tiere, ferner hier
wie dort die gleiche Tüchtigkeit, der gleiche
Ernst, die gleiche männlich feste und gediegene
Art. Wenn trotzdem allgemein die älteren
Zügels heuer einer größeren Aufmerksamkeit

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