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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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R.-r, A.: Oesterreichisches Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0352

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Oesterreichisches K unstgewerbe{

junge Kräfte bekamen Luft und Lust zur Arbeit,
und so sehen wir seit einigen Jahren einen or-
ganisch-gesetzmäßigen Entwicklungsprozeß sich
vollziehen. Mit schier amerikanischer Rasch-
heit wurde der Wiener ein Moderner. Seine
besondere Anpassungs- und Aufnahmefähig-
keit kamen ihm hierbei zustatten. Anfänglich
verführte ihn noch sein Hang zum Zierat und
Prunk, zur überwuchernden Dekoration, die
nichts weiter als Dekoration ist, sachgemäße
Formen unsachlich zu „schmücken", doch ist
er auch davon abgekommen, und seine meisten
kunstgewerblichen Erzeugnisse erfüllen fast
durchgehends die Forderungen der modernen
Zweck- und Materialästhetik. Der tief wur-
zelnde intensive Hang und Drang zum spiele-
rischen Betätigen des schmiegsam flinken
Handgelenks, das jede Fläche im Husch mit
einem aparten Liniengeranke, einer Fülle an
sich reizvoller Musterungen überzieht, erscheint
gebändigt und zu Gunsten der Wirkung des
organischen Gewachsenseins, der von innen
nach außen gebildeten, eigenschaftsbetonenden
Geräte unterdrückt. Mitunter blüht der Dekor
wohl auf, aber er ist dann, mag er auch reich
und füllig sein, doch nie wahllos unwesentliche
Verzierung, unter deren Gewucher die Dingform
erstickt. Österreichs moderne Kunstgewerbler
— erzogen durch die Professoren Roller, Hoff-
mann und Moser — verabscheuen gleich allen
übrigen „guten Europäern", die Mätzchen witz-
loser Verkleidungsstücke, geben den Tastern
elektrischer Klingeln nicht mehr die Form von
Fruchtgehängen, turnenden Affen oder seil-

tanzenden Elfen, den Messerbänken nicht mehr
die skurrile Form übermäßig lang gestreckter
Dackel, Eidechsen oder sonstigen Getiers, son-
dern jedem Dinge die ihm wesensgemäße Form.
Auch Stil-An- und Entlehnungen, erborgte For-
men, sind erfreulicher Weise nur noch selten zu
finden; dagegen hat man Gelegenheit, zu be-
obachten, daß einige Kunstgewerbler schon so
viel kulturelle Reife neben ihrem angeborenen
und durch Schulung verfeinerten Geschmack
haben, aus sonst schämig versteckten Natur-
funktionen charakteristisch betonte Wesenszüge
zu machen und das schmückende Ornament aus
der Konstruktion oder dem Material zu gewin-
nen. Was Falke, vor beinahe 30 Jahren, als
Leitsatz aufstellte, lernten die Kunstgewerbler
nunmehr endlich verstehen; nämlich: daß der
Zweck es ist, der die Form schafft, die allge-
meine Form, die Form der Gattung; und daß
es außer dem Willen des Entwerfers Momente
gibt, die zur Gestaltung, respektive zur Aus-
gestaltung der Form mitwirken: das Material,
aus dem der Gegenstand geschaffen wird, und
die Technik, durch welche er entsteht; und
daß das Material dem Zweck gegenüber erst in
zweiter Linie und die Technik in dritter Linie
steht, weil die Wahl des Materials von der
Zweckmäßigkeit, und die Wahl der Technik
vom Material abhängen. — Überaus erfreulich
ist die Eintracht zwischen Entwerfenden und
Ausführenden im modernen österreichischen
Kunstgewerbe. Die Führer verstanden es,
künstlerische Kräfte heranzubilden und zu ent-
wickeln , reif zur Erfindung zu machen, gleich-

KELIX
MERKEL-
WIEN.

KASSETTE IN
NEUSILBER
GETRIEBEN.

AUSFUHRUNG:
K. HAGENAUER-
WIEN.
 
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