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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Segmüller, Ludwig: Kunst und Wissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0418

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Kunst und Wissenschaft.

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Richard teschner Wien. Bühnenbild »Bastien und Bastienne« (Mozart).

schaftliche Tätigkeit, bewaffnet mit dem scharfen
Messer der Kritik, stets bereit ist, einen etwa
sich nicht in gesetzmäßiger Form bereitenden
Keim mit raschem Schnitt, gleich dem Chirurgen
zu entfernen. Dabei jedoch übersieht sie, daß es
in der Kunst kein totes Gleise gibt, und daß
die Äußerungen des Schönen nicht berechnet
werden können wie der Lauf eines Meteoriten.
In der Kunst ist nur der Wechsel be-
ständig, ihr Ausdruck ist subjektiv und eine
Folge von Wandlungen der Zeitläufte. Kunst
ist Entwicklung und Bewegung.

Wer diese Entwicklung aufzeichnet, der
Chronist ist berechtigt, dagegen der Kunst-
wissenschaftler nur dann, wenn er seinen Beruf
selbst als Kunst betrachtet. Mit Recht spricht
Obrist „vom Gift des Erklärens in der
Kunst", wie es ein Pedant verzapft. Arthur
Bonus trifft noch schärfer mit dem Satz: „das
alles zerfressende Begriffsvermögen
ertöte wie alles Lebendige auch die Phantasie
und Kunst". Der Kunsthistoriker und Kritiker
muß in sich selbst mit jenem Fluidium gesegnet
sein, wie es aus jedem Kunstwerk spricht, er
muß jene Schöpferkraft besitzen, die ihn

selbst zu einer künstlerischen Persönlichkeit
stempelt. Nur dann ist er imstande, durch sein
Wirken jenes Mitempfinden in der Masse aus-
zulösen , das die ethischen Werte der Kunst
zum allgemeinen Besitztum erhebt. Er wird
sich seine Grenzen unüberschreitbar stecken
und nie in das Rad der Kunstentwicklung
greifen wollen. — Jede Entwicklung in der Kunst
geht aus inneren Gründen hervor, die wir
wohl später feststellen, aber nicht vorher kon-
struieren können. Jede Strömung und Umwäl-
zung im Leben der Gesellschaft ist anfangs ano-
nym und spricht sich erst vor dem Höhepunkt
oder gegen das Ende der Bewegung in den
Werken großer Schöpfer aus. Wohin würden
wir gelangen, wenn wir die Wirksamkeit
des Individuums leugneten? Was sollen im
lebendigen Schaffen der Kunst logische Tüfte-
leien? Das Endurteil über Bewegungen sprechen
nicht wir, sondern die Zeit. Wir aber, die uns
schon das Studium der kleinsten Lebewesen
mit Staunen erfüllt, müssen wir nicht das höch-
ste Phänomen in der Natur, den schöpfe-
rischen Menschen und seine Leistungen
mit Ehrfurcht betrachten? l. segmüixer.

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