Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 58.1926

DOI Artikel:
Ewarth, Hans: Warnung vor falscher Sachlichkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9181#0391

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
RICHMODIS-IIAl'S »GARTEN/IMMER

MALEREI: RÜTH HILDEGARD GEVKR-RAACK

WARNUNG VOR FALSCHER SACHLICHKEIT

Die Kunst der Gegenwart nennt sich mit
Vorliebe sachlich. „Sachlichkeit" ist eine
Forderung, die in gleicher Weise heute von
den Ingenieur-Romantikern wie von den zarten
neu - nazarenischen Idyllikern aufgestellt wird.
Sie alle sind, obgleich Romantiker durch und
durch, verzückte Anbeter des Maschinenrades,
Verhimmler der Zigarrenkiste auf der einen,
arkadische Quietisten u. anakreontische Schäfer
auf der anderen Seite, mit Fanatismus „sach-
lich". Der „göttliche Funke", ohne den man
sich gemeinhin künstlerisches Schaffen nicht
vorzustellen vermag, ist zur Zeit bedenklich
entwertet; man verlangt Nüchternheit anstelle
des heiligen Feuers, Schlichtheit statt der Vision.
Erregtheit, sonst erstes Kennzeichen des schöp-
ferischen Zustands, ist heute verdächtig.

Es kann gar kein Zweifel sein, daß hier wieder
einmal eine jener derben und gefährlichen Ver-
allgemeinerungen vorliegt, wie sie zeitweilig
einer schief angesetzten Kunstdiskussion ent-
springen. Man sah ein, daß das visionäre Ge-
schwafel des greisenhaft gewordenen Expressio-

nismus, die laute Ekstase um ihrer selbst willen,
von einer grenzenlosen Verlogenheit und eine
lärmende Verwirrung geworden war; man rief
dagegen zu einer Sammlung im Zeichen des
Wirklichen, zu einer Besinnung auf das Unlaute,
gerade und greifbar Gewachsene. In letzter
Stunde entdeckte man wieder „das Objekt".
Niemand, der es ernst mit der Kunst meint,
kann diese Entwicklung schelten oder bedauern.
Genau so wird man aber auch nicht darum
herumkommen, sich gegen eine Entwicklung,
die Nüchternheit mit Trockenheit, Klarheit mit
Plattheit, Einfachheit mit Dürftigkeit verwech-
selt, aufzulehnen. Die „Sachlichen" sind sehr
bald in jene Sackgasse geraten, wo ihnen vor
lauter Dingen die Aussicht auf die Kräfte, die
die Dinge überhaupt in einen lebendigen Zu-
sammenhang bringen, verstellt war. Sie hatten
nur noch den farbigen Abglanz, nicht mehr das
Leben. Demgegenüber ist es notwendig, fest-
zustellen, wo das sachliche Element für die
Kunstentwicklung fruchtbar werden kann und
wo es hinderlich und unterbindend ist.

XXIX. September 1926. 5

377
 
Annotationen